Ausflug ins Zivilprozessrecht: Instruktion der „notwendigen Vertretung“

Gemäss Art. 69 ZPO bestellt das Gericht einer Partei eine Vertretung, wenn eine Partei offensichtlich nicht imstande ist, den Prozess selbst zu führen, und nicht selber eine Vertreterin oder einen Vertreter beauftragt. In einem neueren Urteil hat das Bundesgericht klargestellt, dass es der urteilsfähigen, aber unvermögenden Partei überlassen bleibt, materiell die zu treffenden prozessualen Entscheidungen zu fällen, das heisst eine Klageeinleitung zu beschliessen, über die im Streit stehenden materiellrechtlichen Ansprüche durch Klagerückzug, Klageanerkennung oder Vergleich zu verfügen, Rechtsmittel zu ergreifen oder auf solche zu verzichten.

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Aufenthaltsbestimmungsrecht und Obhut

In der Theorie ist der Unterschied zwischen dem Aufenthaltsbestimmungsrecht und der Obhut klar: Während ersteres sich darüber äussert, wer über den Aufenthaltsort eines Kindes entscheiden darf, betrifft letztere die faktische Betreuung des Kindes im Haushalt eines Elternteils. Dennoch ist der Unterschied in der Praxis herausfordernd, wie ein neueres Urteil des Bundesgericht aufzeigt.

Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Im Rahmen einer Scheidung wurde den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge für ihre Tochter belassen und eine alternierende Obhut festgelegt. Die Mutter betreute die Tochter von Dienstagmorgen bis Freitagabend, der Vater übernahm die Betreuung von Freitagabend bis Dienstagmorgen. Nachdem die Mutter die Tochter ins Ausland entführt hatte und die Tochter wieder in die Schweiz zurückgeführt wurde, wurde der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und das Kind während dem Betreuungsanteil der Mutter in einem Heim untergebracht. Der Vater konnte das Kind weiterhin im Rahmen des bisherigen Betreuungsanteils betreuen.

In der Folge erklärte sich der Vater mit der Einrichtung, in welcher die KESB das Kind untergebracht hatte, nicht einverstanden. Daraufhin entzog die KESB auch ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht und regelte den persönlicher Verkehr (welcher offenbar dem bisherigen Betreuungsanteil entsprach). Der Vater gelangte daraufhin an das Bundesgericht und beantragte die Feststellung, ihm sei das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Dauer seines Betreuungsanteils zu belassen sei.

Das Bundesgericht erinnerte zunächst daran, dass der Vater auch nach der Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts weiterhin die (alternierende) Obhut für das Kind ausübt, betreut er dieses doch immer noch von Freitagabend bis Dienstagmorgen. Deshalb hätte die KESB nicht den persönlichen Verkehr regeln dürfen, schliessen sich doch Obhut und persönlicher Verkehr gegenseitig aus. Vielmehr wären die Betreuungsanteile zu regeln gewesen.

In der Sache hielt das Bundesgericht fest, es sei bei alternierender Obhut nicht möglich, dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht «teilweise» – d.h. während dessen Betreuungsanteil – einzuräumen bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht «teilweise» – d.h. in Bezug auf den Betreuungsanteil, welchen das Kind gegen den Willen des Vaters im Heim verbringen muss – zu entziehen.

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Revision ZPO

Die Bundesversammlung hat am 17. März 2023 die Revision der Zivilprozessordnung verabschiedet (Referendumsfrist bis zum 6. Juli 2023). Der Schlussabstimmungstext findet sich hier.

Für den Kindes- und Erwachsenenschutz ist diese Revision insbesondere von Relevanz, weil die Zivilprozessordnung im Verfahren vor der KESB subsidiär anwendbar ist (vgl. Art. 450f ZGB). Hier die wichtigsten Änderungen mit Relevanz für den Kindes- und Erwachsenenschutz:

  • Parteigutachten gelten ausdrücklich als zulässige Beweismittel (Art. 177 ZPO)
  • Das Gericht kann unter Umständen mündliche Prozesshandlungen mittels elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung durchführen oder den am Verfahren beteiligten Personen die Teilnahme mittels solcher Mittel gestatten (Art. 141a ff. ZPO). Art. 447 ZGB dürfte aber eine abschliessende Regelung sein, so dass ein persönliches Gespräch mit der KESB zwingend ist
  • Der Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung ist jedenfalls während der Kindesanhörung unzulässig (Art. 298 Abs. 1bis ZPO)
  • Das Schlichtungsverfahren entfällt bei Klagen über den Unterhalt von minder- und volljährigen Kindern und weitere Kinderbelange (Art. 198 lit. bbis ZPO)

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Mitteilung Entscheide KESB: Gesetzesrevision

Künftig muss die KESB nicht nur das Zivilstandsamt informieren, wenn eine von ihr angeordnete Massnahme die Handlungsfähigkeit einer Person einschränkt. Neu ist sie verpflichtet, je nach Art der Massnahme auch das Betreibungsamt, die Ausweisbehörde oder das Grundbuchamt sowie die Wohnsitzgemeinde darüber zu informieren. Der Bundesrat hat die entsprechende Änderungen von Art. 449c ZGB (und nicht, wie in einer früheren Version des Artikels festgehalten Art. 499c ZGB) per 1. Januar 2024 in Kraft gesetzt.

Demgegenüber wird der Bundesrat dem Parlament vorschlagen, den Auftrag, eine Verordnung betreffend die Auskunftspflicht der KESB über das Bestehen einer Beistandschaft zu erarbeiten, zu streichen.

Weitere Details finden sich hier.

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UMA

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hat zwischen Februar 2021 und Oktober 2022 verschiedene Bundesasylzentren (BAZ) besucht und ist zur Auffassung gelangt, die unbegleiteten asylsuchenden Jugendlichen würden dort unenügend betreut. Der Bericht sowie die Stellungnahme des Staatssekretariats für Migration finden sich hier.

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Anwält:innen gesucht

Ausnahmsweise verwende ich diesen Blog für meine eigene Sache: Die Kanzlei, in welcher ich tätig bin, sucht eine zweite Anwält:in für den Bereich Kindes- und Erwachsenenschutz. Die Stellenanzeige, welche natürlich gerne geteilt werden darf, findet sich hier.

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Rechtliches Gehör: Sorgfaltspflicht der Anwaltsperson

In einem neueren Urteil hat das Bundesgericht Gelegenheit gehabt, Anwaltspersonen an ihre Sorgfaltspflichten in Zusammenhang mit der Akteneinsicht zu erinnern. Im vorliegenden Fall hat eine Anwaltsperson im kantonalen Beschwerdeverfahren (zu Recht) geltend gemacht, die KESB habe ihrer Klientschaft ein Arztzeugnis nicht zugestellt. Dieses sei für den Entscheid der Behörde (über die Zustimmung zu einer Impfung) wesentlich gewesen. Das Bundesgericht lässt zunächst offen, ob das Arztzeugnis tatsächlich entscheidwesentlich war. Die Anwaltsperson habe nämlich Gelegenheit gehabt, sich im kantonalen Beschwerdeverfahren nach dem – nicht zugestellten – Arztzeugnis zu erkundigen, nachdem dieses in der Stellungnahme der KESB zur Beschwerdeschrift erwähnt worden sei. Dies habe die Anwaltsperson aber unterlassen, weshalb sie nun nicht mehr die fehlende Zustellung des Arztzeugnisses erfolgreich rügen könne.

Dieser Fall zeigt ein Mal mehr anschaulich auf, dass die Anwaltsperson im Beschwerdeverfahren prüfen sollte, ob sie tatsächlich über sämtliche im vorinstanzlichen Entscheid bzw. in der Stellungnahme der KESB erwähnten, potentiell entscheidwesentlichen Unterlagen verfügt.

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Empfehlungen der KOKES

Die KOKES hat im Februar 2023 zwei neue Empfehlungen erlassen. Einerseits zum Entzug der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Entscheiden über den Umzug des Kindes. Andererseits über sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Beistandspersonen. Die Empfehlungen finden sich hier.

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Die Pseudo-Gewisstheit eines Arztzeugnisses

In der Praxis holen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden und Beschwerdeinstanzen oft Arztzeugnisse über die Urteilsfähigkeit der betroffenen Person ein bzw. verlangen von Beistandspersonen, dass sie ein solches Zeugnis einholen. Das Bundesgericht hat in einem neueren Urteil wieder einmal klarstellen müssen, dass die Kompetenz eines medizinischen Sachverständigen darauf beschränkt ist, den Geisteszustand der untersuchten Person möglichst genau zu beschreiben und aufzuzeigen, ob und in welchem Mass ihr geistiges Vermögen versagte. Welche rechtlichen Schlüsse aus der medizinischen Beurteilung zu ziehen sind, namentlich ob vom beschriebenen geistigen Gesundheitszustand auf die Urteilsfähigkeit zu schliessen ist oder nicht, beurteilt als Rechtsfrage alleine die Behörde bzw. das Beschwerdegericht. Ein Arztzeugnis, welche die Urteilsfähigkeit bejaht oder verneint, taugt deshalb in der Praxis nur, wenn das Zeugnis den Geisteszustand der untersuchten Person möglichst genau beschreibt und aufzeigt, ob und in welchem Mass deren geistiges Vermögen versagte. Zudem muss die Behörde selber entscheiden, ob sie die ärztliche Beurteilung teilt.

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Verwahrung von Jugendlichen

Die fürsorgerische Unterbringung stellt nach Rechtsprechung des EGMR sowie, dem EGMR folgend, dem Bundesgericht (BGE 145 III 441) keine geseztliche Grundlage für eine Unterbringung alleine wegen Fremdgeführdung dar (wobei die Argumentation, eine Selbstgefährdung liege vor, wenn die Person vor dem Begehen schwerer Straftaten geschützt werden müsse, gemäss EGMR unzulässig ist). Daraus erwächst nach Ansicht des Ständerates derzeit eine Regelungslücke hinsichtlich 25-jährigen Personen, welche aufgrund eines schweren Deliktes gemäss Jugendstrafrecht verurteilt worden sind und mit 25 weiterhin ein massives Fremdgefährdungspotential aufweisen. Dies, weil jugendstrafrechtliche Schutzmassnahmen nach Ablauf des 25. Altersjahr von Gesetzes wegen erlöschen. Die Mehrheit der Ständerät:innen möchte deshalb neu eine Verwahrung auch von Personen ermöglichen, welche nach Jugendstrafrecht verurteilt worden sind. Voraussetzung ist, dass Jugendliche einen Mord begangen haben, eine «ernsthafte Rückfallgefahr» besteht und die Tat nach Vollendung des 16. Altersjahres verübt wurde. „Watson“ berichtet hier darüber.

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