Interessenkollisionen im Kindesrecht

Gemäss Art. 306 ZGB erlischt die elterliche Sorge, wenn eine (abstrakte) Interessenkollision vorliegt. Eine solche Kollision liegt gemäss Praxis und Lehre vor, wenn sowohl die Eltern als auch das Kind Mitglieder einer Erbengemeinschaft sind. Diese Konstellation lag in einem neueren Bundesgerichtsurteil vor. Das Kind hat sich an das Bundesgericht gewandt und argumentiert, es verfüge bereits über eine private Unterstützung (vorliegend: ein privatrechtlich mandatierter Anwalt), weshalb auf die Errichtung einer Beistandschaft für sich verzichtet werden könne. Diese Argumentation hat das Bundesgericht mit Blick auf den Wortlaut von Art. 306 ZGB zurückgewiesen. Der Entscheid erscheint im Ergebnis wohl richtig: Es war sehr fraglich, ob das Kind tatsächlich den Willen hatte, durch den Anwalt vertreten zu werden. Freilich sind meines Erachtens Konstellationen denkbar, in welchen mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Subsidiaritätsprinzip eine privatrechtliche Unterstützung des Kindes ausreichend erscheint.

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Unentgeltliche Rechtsverbeiständung

Viele Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden sind eher zurückhaltend, wenn ein Elternteil die unentgeltliche Rechtspflege für ein Verfahren beantrag. In einem neueren Entscheid hat das Bundesgericht in Erinnerung gerufen, dass diese (bereits an sich problematische) Zurückhaltung insbesondere nicht angeht, wenn der andere Elternteil sowie das Kind rechtlich vertreten sind, die elterliche Sorge Verfahrensgegenstand ist und der ersuchende Elternteil rechtsunkundig erscheint. Meines Erachtens ergibt sich aus dem Prinzip der «Waffengleichheit», dass diese Rechtsprechung grundsätzlich unabhängig des Verfahrensgegenstands geltend muss.

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Melde- und Mitwirkungsvorschriften im KESR-Verfahren

Die Revision des Bundesgesetzes über die Gesundheitsberufe hat per 1. Januar 2020 zu einer Änderung von Art. 321 StGB geführt: Neu unterstehen auch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Ernährungsberater, Optometristen sowie Osteopathen dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis. Zudem unterliegen Pflegefachpersonen einem eigenständigen strafrechtlichen Berufsgeheimnis (dieses gilt also nicht nur, wenn sie als Hilfspersonen von Arztpersonen amtieren). Diese Revision hat Konsequenzen für den Kindesschutz: Die Melde- und die Mitwirkungsvorschriften knüpfen teilweise an das strafrechtliche Berufsgeheimnis an (vgl. Art. 314c Abs. 2 ZGB sowie Art. 314d Abs. 1 ZGB; Art. 314e Abs. 2 und 3 ZGB). Dies gilt auch für die Meldevorschriften im Erwachsenenschutz (Art. 443 Abs. 2 Satz 2 ZGB). Demgegenüber dürften die Mitwirkungsvorschriften im Erwachsenenschutz (Art. 448 ZGB) durch die Revision von Art. 321 StGB keine inhaltliche Änderung erfahren: Die Gesetzgeberin hat es anlässlich der letzten Revision von Art. 448 ZGB (in Kraft seit 1. Januar 2019) – im Gegensatz zur gleichzeitig erfolgten Erschaffung der Art. 314c ff. ZGB – unterlassen, die Mitwirkungsvorschriften an Art. 321 StGB anzuknüpfen. Vielmehr findet sich eine eigenständige Aufzählung der relativ (Abs. 2) und absolut (Abs. 3) geheimnisberechtigten Personen. Die Berufsgruppen, welche einem strafrechtlichen Berufsgeheimnis unterliegen, aber nicht in der Aufzählung enthalten sind, müssen damit am Verfahren mitwirken (Abs. 1). Der Verstoss gegen Art. 321 StGB ist gerechtfertigt (vgl. Art. 14 StGB).

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Unbegleitete minderjährige Asylsuchende

Der „Tages-Anzeiger“ berichtet heute über „Probleme und Missstände“ im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden in der Westschweiz. Der Beitrag erinnert, wie wichtig es ist, dass die minderjährigen Asylant*innen durch Interessenvertreter (in Form von Beistandspersonen) unterstützt werden, allenfalls über deren Volljährigkeit hinaus.

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Zustellung von Verfahrensakten von Amtes wegen?

Müssen Verfahrensbeteiligte von Amtes wegen mit Akten bedient werden? Diese Fragestellung hatte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt zu beurteilen: Im entsprechenden Fall beantragte der Vater die Regelung des persönlichen Verkehrs. Im Verlaufe des Verfahrens verfasste die Mutter eine e-mail an die Behörde. Zudem vermerkte die KESB den Inhalt eines Telefonates mit der Mutter in einer Aktennotiz. Vor dem Appellationsgericht hat der Vater nun geltend gemacht, ihm seien weder die e-mail noch die Aktennotiz zugestellt worden. Hierzu hat das Gericht festgehalten, die KESB müsse eine verfahrensbeteiligte Person jedenfalls in periodischen Abständen über den Beizug neuer entscheidwesentlicher Akten, welche die verfahrensbeteiligte Person nicht kennt und auch nicht kennen kann, informieren. Ansonsten liege eine Verletzung des rechtlichen Verkehrs vor. Verfahrensbeteiligte müssen demnach nicht «nur» mit Akten bedient werden, wenn sie ein Gesuch um Akteneinsicht stellen. In aller Regel werden sich aber keine praktischen Konsequenzen aus einer entsprechenden Verletzung des rechtlichen Gehörs ergeben: Diese kann im Beschwerdeverfahren regelmässig geheilt werden. So verhielt es sich gemäss dem Appellationsgericht auch im vorliegenden Fall.

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Ausflug ins Sozialversicherungsrecht

Wenn eine Person Hilflosenentschädigung der IV erhält und in einer eigenen Wohnung lebt, hat sie unter Umständen (zu beachten ist insbesondere, dass an handlungsunfähigen Versicherungen spezielle Voraussetzungen gestellt werden, vgl. Art. 39b IVV) auch Anspruch auf einen Assistenzbeitrag. Der Beitrag soll ein möglichst selbstbestimmtes Leben ausserhalb von Heimstrukturen ermöglichen. Dies indem die betroffene Person eine Assistenzperson einstellen kann, welche für sie gewisse Assistenzleistungen erbringt (vgl. näheres hier). In der Praxis stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit bei bestehender Beistandschaft eine Assistenzperson angestellt werden kann. Aber auch die Höhe des Assistenzbeitrages kann zu Auseinandersetzungen führen. In einem neueren Entscheid haben sich die Beistände bzw. Eltern der betroffenen Person an das Bundesgericht gewandt und sich über den ihrer Meinung nach zu tiefen Beitrag moniert. In einem lesenswerten Entscheid hat das Bundesgericht die Beschwerde jedoch abgewiesen.

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Gesetzesänderung Verantwortlichkeitsrecht

Die Bestimmungen zur Verantwortlichkeit sind per 1. Januar 2020 teilrevidiert worden.

Neu hält Art. 455 Abs. 1 zur Verjährung explizit fest, der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjähre nach den Bestimmungen des Obligationenrechts über die unerlaubten Handlungen. Demnach verjährt der Anspruch „mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte“ (vgl. Art. 60 Abs. 1 OR). Weiter wurde Art. 455 Abs. 2 ZGB, wonach sich die Verjährungsfrist teilweise nach der strafrechtlichen Frist zur Verfolgungsverjährung bestimmt, präzisiert: Demnach verjährt der Anspruch frühestens mit Ablauf von drei Jahren seit Eröffnung des erstinstanzlichen Strafurteils, wenn die Verfolgungsverjährung infolge eines solchen Urteils nicht mehr eintritt.

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Anhörung der betroffenen Personen

Das Bundesgericht hatte in einem neueren Entscheid die Gelegenheit, die Rechtsprechung zur Anhörung der betroffenen Kinder und Eltern zu rekapitulieren. Die Vorinstanz hatte das sieben Jahre alte Kind mit der Begründung nicht angehört, es könne nicht nach konkreten Zuteilungswünschen befragt werden. Das konnte nicht gut gehen: Das Bundesgericht wies die Vorinstanz auf zahlreiche Einzelaspekte hin, zu welchen das Kind hätte angehört werden können (ob es sich im Internat wohlfühlt; tätliche Zwischenfälle und sexueller Übergriff durch einen älteren Jungen im Internat; Schulproblematik; Beziehung zwischen Kind und Eltern). In Bezug auf die Anhörung der Eltern hat das Bundesgericht festgehalten, die KESB sowie die Vorinstanz müssten sich auch mit Vorschlägen der Eltern (hier: Privatschule an Stelle Internat) befassen.

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Kindesschutz im Kanton Basel-Stadt

Das Regionaljournal Basel (ab 01:05) hat sich mit dem Kindesschutz in Basel-Stadt beschäftigt. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Anzahl Meldungen an die KESB 2019 um stolze 20 Prozent (auf 500 Meldungen) zugenommen habe. Trotz der angestiegenen Anzahl Meldungen habe die KESB nicht substantiell mehr Kindesschutzmassnahmen anordnen müssen. Dies, weil eine freiwillige Unterstützung der Familien durch andere Dienste möglich gewesen sei.

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Literaturtip

Das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht hat auch Auswirkungen auf das Handelsregisterrecht. Zu diesem in der Lehre erst wenig beachtete Verhältnis hat Herr Prof. Philippe Meier einen französischsprachigen Artikel (mit dem Titel „Curatelles et minorité civile dans les rapports avec le registre du commerce: une tentative de systématisation“) in der «Reprax» 1/18 verfasst. Eine deutschsprachige tabellarische Übersicht zum Artikel wurde nun in der Reprax 3/19 veröffentlicht (vgl. den Link zur Zeitschrift).

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