Herausgabe von Originalbelege an ehemals verbeiständeter Person

In einem neueren Urteil musst sich das Bundesgericht mit der Frage beschäftigen, inwieweit eine ehemals verbeiständete Person (Vertretungsbeistandschaft in den Aufgabenbereichen Finanzen) das Recht hat, die während der Einkommens- und Vermögensverwaltung geäufneten Originalbelege zu erhalten. Das Bundesgericht hat daran erinnert, dass diese Belege im Eigentum der verbeiständeten Person stehen. Das «Zurückbehalten» der Originalbelege durch die Behörde stellt folglich einen Eingriff in die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) dar. Damit ist eine gesetzliche Grundlage notwendig, damit die Behörde die Originalbelege behalten kann. Bezugnehmend auf den Fall musste das Bundesgericht feststellen, dass die aargauischen Behörden die kantonalen Regelungen zur Aufbewahrung von Belegen missachtet haben. Damit sind die Originalbelege der verbeiständeten Person auszuhändigen. Das Bundesgericht hielt dazu weiter fest, selbstredend dürften sich die Behörden Kopien der Belege für die eigenen Unterlagen ausfertigen. Aus dem Urteil wird nicht wirklich klar, weshalb die aargauischen Behörden nicht bereits zu Beginn so verfahren sind.

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Kuriosum: Zeugung vor Bundesgericht

Bekanntlich müssen Vereinbarungen über den Unterhalt von minderjährigen Kindern durch die KESB bzw. durch das Gericht genehmigt werden. Das Bundesgericht musste sich in einem neueren Urteil mit der Beschwerde eines Vaters gegen die Genehmigung des Unterhaltsvertrages durch die KESB auseinandersetzen.  Der Vater wählte einen so ungewöhnlichen wie kuriosen Begründungsansatz: Er machte geltend, er habe mit der Mutter des Kindes genau einmal Sex gehabt und dabei sei sie schwanger geworden, obwohl sie ihm versichert habe, dass sie die Pille nehme; sie habe ihn in egoistischer Weise als Samenspender missbraucht und er solle nun immer brav Unterhalt zahlen, obwohl er ihr von Anfang an gesagt habe, dass er kein Kind wolle. Dieser Begründung war natürlich kein Erfolg beschieden: Das Bundesgericht äusserte zwar Verständnis für die Frustration des Vaters. Es wies ihn aber darauf hin, dass das Gesetz die Unterhaltspflicht objektiv an das Eltern-Kind-Verhältnis (vgl. Art. 276 Abs. 1 ZGB) anknüpft. Mithin an die rechtliche Vaterschaft, nicht aber an den subjektiven (Un-)Willen, ein Kind zu zeugen. 

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Fürsorgerische Zwangsmassnahmen – Revision des AFZFG

Seit dem 1. November 2020 ist eine Revision des «Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981“ (AFZFG) in Kraft. Im Wesentlichen hat die Gesetzgeberin die Frist zur Einreichung von Gesuche um Gewährung des Solidaritätsbeitrags gestrichen. Dieser beträgt neu pauschal pro Person CHF 25‘000. Schliesslich hat der Gesetzgeber sozialversicherungs- (EL) bzw. sozialhilferechtliche Folgen einer Entschädigung neu geregelt. Beistandspersonen sollten insbesondere beachten, dass Verfügungen der EL, welche der neuen Rechtslage widersprechen, in Wiedererwägung gezogen werden können (ohne dass die Voraussetzungen des ATSG vorliegen müssen).

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KESR vor Bundesgericht

Am Wochenende hat die «Sonntagszeitung» (Paywall) eine Analyse von 800 Bundesgerichtsurteile aus den Jahren 2013 – 2020 publiziert. Demnach wurden 5% der Beschwerden gutgeheissen. Diese Quote liegt markant unter dem Durchschnitt bei Beschwerden in Zivilsachen (2019: 10.5%).

Die Zahlen verdeutlichen einerseits, dass die KESB und die kantonalen Rechtsmittelbehörden gut arbeiten. Sie zeigen aber andererseits auch strukturelle Probleme im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht auf. So scheitern viele Betroffene auch aufgrund ihres Schwächezustandes bereits an den hohen formellen Vorgaben: Das Bundesgericht tritt fast in zwei Dritteln aller Fälle nicht auf die Beschwerde ein (d.h. es beurteilt sie gar nicht inhaltlich; zu beachten ist hier aber auch, dass das Bundesgericht auf viele Beschwerden gegen ärztliche FU’s nicht eintritt, weil sich die beschwerdeführende Person nicht mehr in der Klinik befindet und damit kein aktuelles Interesse an einer Beschwerde vorliegt). Im Unterschied zum kantonalen Verfahren können nahestehende Personen nicht fremdnützig für die Betroffenen tätig werden und damit deren Schwächezustand kompensieren: Das Bundesgerichtsgesetz verlangt im Rahmen der Beschwerdelegitimation ein eigenes schutzwürdiges Interesse (vgl. Art. 76 BGG). Schliesslich nimmt das Bundesgericht zu zurückhaltend eine Unfähigkeit der Betroffenen zur Prozessführung an (und gibt ihnen entsprechend zu zurückhaltend Anwaltspersonen bei, Art. 41 BGG).

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Evaluation Massnahmen bzw. Finanzhilfen des Bundes in der Kinder- und Jugendhilfe

Die „Verordnung über Massnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie zur Stärkung der Kinderrechte“ sieht vor, dass das BSV regelmässig die Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der vom Bund durchgeführten Massnahmen und gewährten Finanzhilfen in der Kinder- und Jugendhilfe untersucht (Art. 17). Das BSV hat nun erstmals eine entsprechende Evaluation ausgeschrieben. Mehr Informationen gibt es hier.

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Wahrnehmung des Kindesschutzverfahrens durch Jugendliche und Eltern

Leider werden nur selten „ausserrechtliche“ Dissertationen im Kindes- und Erwachsenenschutz verfasst. Eine Ausnahme stellt die kürzlich veröffentlichte Dissertation von Andrea Hauri zum Thema „Wahrnehmung des Kindesschutzverfahrens vor der KESB durch
Jugendliche und Eltern mit Fokus auf Gerechtigkeit“ dar. Die Dissertation findet sich hier.

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Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes – sachliche Zuständigkeit

In einem neuen Urteil hat das Bundesgericht (zu Recht) festgehalten, für die Zustimmung zu einem Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes (Art. 301a ZGB) sei das Gericht sachlich zuständig, welches in einem vorherigen Scheidungsverfahren die Kindesbelange geregelt hatte (vgl. Art. 134 ZGB). Im zu entscheidenden Fall stimmte jedoch fälschlicherweise die KESB dem Wechsel des Aufenthaltsortes zu (nachdem sich das Gericht nicht als sachlich zuständig betrachtet hatte). Das Bundesgericht hielt dazu fest, Entscheide der KESB über den Wechsel des Aufenthaltsortes seien nicht nichtig (sondern «bloss» anfechtbar»), wenn die Parteien zu Recht die fehlende sachliche Zuständigkeit der KESB rügen würden. Dies gilt jedenfalls, wenn die KESB auch als Gericht ausgestaltet ist, dürfte aber generell gelten.

Im vorliegenden Fall war diese Frage von Relevanz, weil die Mutter nach dem Entscheid der KESB mit dem Kind nach Deutschland umgezogen war, nachdem die KESB einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen hatte (vgl. Art. 450c ZGB). Eine Zuständigkeit der schweizerischen Behörden für das Rechtsmittelverfahren liesse sich nach dem HKsÜ deshalb nur begründen, wenn der Umzug des Kindes widerrechtlich gewesen wäre. Hierfür hätte der Entscheid der KESB geradezu nichtig sein müssen: Der Entscheid der KESB berechtigte die Mutter ja, nach Deutschland umzuziehen und der Beschwerde war die aufschiebende Wirkung entzogen. Weil die KESB den Entscheid trotz mangelnder sachlicher Zuständigkeit traf, diese Entscheidung nach den obigen Ausführungen aber «nur» anfechtbar war, waren im internationalen Verhältnis die deutschen Behörden zuständig (vgl. Art. 5 HKsÜ).

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Bewegungseinschränkungen – Vorgaben des EGMR

Inwiefern Bewegungseinschränkungen zulässig sind, regeln die Art. 383 ff. ZGB (ggf. i.V.m. Art. 438 ZGB). Daneben gilt es aber auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zu berücksichtigen. Der EGMR hatte in einem neueren Urteil die Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu Bewegungseinschränkungen im Rahmen von psychiatrischen Behandlungen zusammenzufassen.

Zunächst hielt er fest: “it is for the medical authorities to decide, on the basis of the recognised rules of medical science, on the therapeutic methods to be used, if necessary by force, to preserve the physical and mental health of patients who are entirely incapable of deciding for themselves, and for whom they are therefore responsible. The established principles of medicine are admittedly, in principle, decisive in such cases; as a general rule, a measure which is a therapeutic necessity cannot be regarded as inhuman or degrading. The Court must nevertheless satisfy itself that the medical necessity has been convincingly shown to exist (M.S. v. Croatia (no. 2), cited above, § 98).”

Weiter führte der EGMR aus: «Turning to physical restraint, the court noted (at paragraph 84) that: the developments in contemporary legal standards on seclusion and other forms of coercive and nonconsensual measures against patients with psychological or intellectual disabilities in hospitals and all other places of deprivation of liberty require that such measures be employed as a matter of last resort, when their application is the only means available to prevent immediate or imminent harm to the patient or others […] Furthermore, the use of such measures must be commensurate with adequate safeguards against any abuse, provide sufficient procedural protection, and be capable of demonstrating sufficient justification that the requirements of ultimate necessity and proportionality have been complied with and that all other reasonable options have failed to satisfactorily contain the risk of harm to the patient or others. It must also be shown that the coercive measure at issue was not prolonged beyond the period which was strictly necessary for that purpose […].”

Schliesslich gelangte der EGMR zu folgendem Schluss zur Dauer der Einschränkung: “It will depend on whether the continuation and duration of the measure of physical restraint in respect of the applicant was the only means available to prevent immediate or imminent harm to himself or others […].”

Im vorliegenden Fall (Fixierung eines Mannes, welcher an einer paranoiden Schizophrenie leidet, an einem Bett für ca. 23 Stunden) waren diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

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Administrative Versorgungen – «nur» noch Geschichte?

Im heutigen „Jusletter“ (paywall) geht Louise Hauptmann der Frage nach, inwiefern das Kapitel „administrative Versorgungen“ in der Schweiz abgeschlossen ist. Die Autorin verneint die Frage und zeigt, nach einer kurzen Rückblende, die aus ihrer Sicht bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen den administrativen Versorgungen und dem geltenden Recht auf.

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