Validierung Vorsorgeauftrag

In der Lehre ist umstritten, ob sich die Beurkundung des Vorsorgeauftrages nach kantonalem Recht oder nach den bundesrechtlichen Vorschriften über die letztwilligen Verfügungen richtet. Hinter dieser zunächst trocken anmutenden Fragestellung verbirgt sich eine hohe Praxisrelevanz: Die Vorschriften der öffentlichen letztwilligen Verfügung sehen vor, dass zwei Zeugen bei der Beurkundung präsent sein müssen (Art. 499 ZGB). Demgegenüber verzichten die kantonalen Vorschriften über die Beurkundung oft auf dieses Erfordernis.

In einem neuen Urteil ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, dass sich die Beurkundung des Vorsorgeauftrags nach kantonalem Recht richte. Der Wortlaut von Art. 361 Abs. 1 ZGB sei insofern eindeutig, als sich ihm kein Verweis auf Art. 499 ff. ZGB entnehmen lasse. Die Gesetzessystematik und die Entstehungsgeschichte würden ebenfalls (eher) daraufhin hindeuten, dass sich die öffentliche Beurkundung entsprechend dem Grundsatz von Art. 55 SchlT ZGB nach kantonalem Recht richte. Jedenfalls würden sie – wie das teleologische Auslegungselement – keinen triftigen Grund für die Annahme liefern, der Wortlaut ziele am Rechtssinn der Bestimmung vorbei. Es bestehe daher kein Grund, Art. 361 Abs. 1 ZGB abweichend vom Wortlaut im Sinn eines Verweises auf Art. 499 ff. ZGB zu verstehen. Dies gelte umso mehr, als beim Vorsorgeauftrag ein vergleichbares Bedürfnis nach Schutz des Vertrauens in den Gesetzeswortlaut bestehe wie bei der Testamentserrichtung und die Formerfordernisse deshalb nicht über den Gesetzeswortlaut hinaus ausgedehnt werden dürften.

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Ergebnis korrekt, Hinleitung egal (?)

Das Bundesgericht beschäftigte sich in einem neueren Urteil mit der Rüge einer betroffenen Person, die Vorinstanz habe nicht begründet, weshalb im Verfahren vor der KESB von einer Verfahrensbeistandschaft (Art. 449a ZGB) habe abgesehen werden können. Dazu hielt das Bundesgericht zunächst fest, eine erfolgreiche Rüge der Gehörsverweigerung setze voraus, dass die beschwerdeführende Partei in der Begründung des Rechtsmittels angibt, inwiefern die von der Vorinstanz nicht berücksichtigten Vorbringen hätten erheblich sein und sich auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken können.

Diese Rechtsprechung erschwert es im Ergebnis, erfolgreich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen, wenn die Behörden nicht begründen, weshalb der Antrag auf Errichtung einer Verfahrensbeistandschaft im Ergebnis abgewiesen wurde. So hat im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin geltend gemacht, sie habe als betroffene Person ihre Wünsche ohne Verfahrensbeistandschaft nicht korrekt in das Verfahren einbringen können, was vorliegend zentral sei. Dem hielt das Bundesgericht entgegen, die Vorinstanz habe ja korrekt dargelegt, weshalb den Wünschen der betroffenen Person bei der Auswahl der Beistandsperson kein entscheidendes Gewicht beizumessen sei. Deshalb hätte sich die fehlende Ernennung einer Verfahrensbeiständin nicht auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken können. Die Rechtsprechung übersieht, dass die Verfahrensbeistandschaft nicht nur ein „richtiges“ Ergebnis gewährleisten soll, sondern unter anderem auch die Partizipation der Betroffenen im Verfahren gewährleisten soll.

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IPR-Grundkurs

Ein neueres Urteil des Bundesgerichts ermöglicht eine Repetition des schweizerischen internationalen Erwachsenenschutzrechts. Die wesentlichen Aussagen des Urteils sind im Folgenden fett/kursiv hinterlegt.

Dem Urteil Sachverhalt zu Grunde: Die betroffene Person, welche Trisomie 21 aufweist, stammt ursprünglich aus dem Libanon. Dort lebte sie bis 2015. Mit Urteil vom 11. Mai 2015 hat ein Gericht in Beirut die Schwester als «Beiständin» eingesetzt, welche in der Schweiz lebt. Die betroffene Person lebte ab dem 17. Oktober 2015 in der Schweiz bzw. hat hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Nachdem sich zeigte, dass die Beiständin nicht in der Lage war, die administrativen/finanziellen Angelegenheiten der betroffenen Person zu wahren, errichtete die KESB für die betroffene Person eine umfassende Beistandschaft und setzte neben B (welcher die Personensorge, inkl. medizinischer Belange obliegen sollte) eine Co-Beistandsperson für die restlichen Belange ein.

In der Folge wandte sich die Schwester gegen die umfassende Beistandschaft, mit der Argumentation, es bestehe schon die im Libanon errichtete Beistandschaft und das entsprechende Urteil dürfe gemäss Art. 26 des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens (HEsÜ) in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden. Das Bundesgericht befasste sich deshalb im Folgenden 1. mit der Frage, ob das libanesische Urteil in der Schweizer anerkannt (d.h. «akzeptiert») werden kann; und bejahendenfalls 2. mit der Frage, ob Art. 26 HEsÜ eine Abänderung dieses Urteils ermöglicht.

Anerkennung des libanesischen Urteils  

Für die Frage, ob das libanesische Urteil in der Schweiz anerkannt werden kann, ist das HEsÜ nicht unmittelbar anwendbar, da der Libanon kein Mitgliedsstaat des Übereinkommens ist. In diesem Fall richtet sich die Anerkennung nach Art. 85 IPRG (i.V.m. Art. 25 IPRG).  

Dieses sieht zwar in Art. 85 Abs. 2 IPRG zwar vor, dass das HEsÜ unter anderem für die Anerkennung anwendbar sei (als nationales Recht). Allerdings sieht Art. 22 HEsÜ vor, dass das HEsÜ nur die Anerkennung von Urteilen anderer Mitgliedsstaaten regelt.

Das Bundesgericht hat diesen Widerspruch aufgelöst, indem es klargestellt hat, dass sich die Anerkennung eines Urteils eines «Nicht-Mitgliedstaates» des HEsÜ ausschliesslich nach Art. 85 Abs. 4 IPRG richtet. Gemäss dieser Bestimmung werden die Urteile anerkannt, wenn sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen (hier: Libanon) ergangen sind oder dort anerkannt werden.

Abänderung des Urteils

Die Schwester berief sich, wie schon dargelegt, darauf, dass Art. 26 HEsÜ keine Abänderung des libanesischen Urteils von 2015 ermögliche. Art. 26 HEsÜ lautet wie folgt: Vorbehaltlich der für die Anwendung der vorstehenden Artikel erforderlichen Überprüfung darf die getroffene Massnahme in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden.

Hierzu hielt das Bundesgericht zunächst fest, Art. 26 HEsÜ sei auch gegenüber Nicht-Vertragsstaaten des HEsÜ anwendbar (Wirkung «erga omnes»). Weiter – und entscheidend – hielt das Gericht auch fest, dass die Bestimmung der Abänderung einer im Ausland ergangenen Massnahme nicht entgegenstehe (sondern «nur» der Revision des ursprünglichen ausländischen Urteil).

Für die Abänderung waren die schweizerischen Behörden zuständig, da die betroffenen Person hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 5 Abs. 2 HEsÜ).

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„Besuchsrechtsbeistandschaft“ ohne vorhandenem Besuchskontakt?

Gemäss bisheriger bundesgerichtlicher Praxis (BGE 126 III 219) besteht kein Raum für die Anordnung einer Beistandschaft, wenn auch die Voraussetzungen für ein begleitetes Besuchsrecht nicht erfüllt sind. In einem neuen Urteil hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung zu Recht relativiert. Im Ergebnis hat es dafürgehalten, dass von einer „Besuchrechtsbeistandschaft“ abzusehen ist, wenn keine Aussicht auf eine Wiederaufnahme des persönlichen Verkehrs besteht. Im vorliegenden Fall hat das Bundesgericht insbesondere darauf abgestellt, ob der (nun) 15-jährige Jugendliche seine Haltung, den Besuchskontakt nicht wahrzunehmen, entschieden zum Ausdruck brachte.

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Revision ZPO per 1.1.2025

Per 1. Januar 2025 ist die Revision der ZPO in Kraft getreten. Dies ist für das Kindes- und Erwachsenenschutzverfahren insofern relevant, als die ZPO sinngemäss anwendbar ist, soweit weder das ZGB noch das kantonale Recht eine Verfahrensfrage abschliessend regeln (vgl. Art. 450f ZGB). Was die Revision der ZPO für das KESR-Verfahren konkret bedeutet, habe ich in einem Beitrag dargelegt. Dieser kann hier eingesehen werden (Bezahlschranke).

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Weihnachtspause!

Der KESR-Blog geht in die Weihnachtspause. Ich möchte mich wiederum für die zahlreichen Anregungen und Hinweise sowie für Ihr Interesse bedanken.

Frohe Festtage und einen guten Jahresausklang!

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Finanzierung von Kindesschutzmassnahmen

Kindesschutzmassnahmen gehören gemäss Art. 276 Abs. 2 ZGB zum Unterhaltsanspruch des Kindes und sind in erster Linie durch die Eltern zu tragen. Kommt das Gemeinwesen anstelle der Eltern für den Unterhalt des Kindes auf (weil diese nicht zahlen können oder wollen), geht der Unterhaltsanspruch (im Umfang der einzelnen bevorschussten Unterhaltsbeiträge) gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB auf dieses über. Mit der Folge, dass das Gemeinwesen auf zivilrechtlichem (!) Weg (und nicht etwa durch Verfügung) die Kosten für die Kindesschutzmassnahmen (als Unterhaltskosten) von den Eltern fordern kann.

Wie ein neueres Urteil des Bundesgerichts in Erinnerung ruft, liegt Unterhalt im Sinne von Art. 276 Abs. 2 ZGB aber nicht vor, soweit staatliche Leistungen für Kindesschutzmassnahmen «endgültig» (also nicht im Rahmen der Ausfallhaftung des Gemeinwesens) durch öffentlich-rechtliche Beiträge erfolgen. Der Staat kann die geleisteten «endgültigen» öffentlich-rechtliche Beiträge also nicht gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB von den Eltern zurückfordern. Vielmehr wären hierfür die (inter)kantonalen Vorgaben massgebend.

Mit anderen Worten ist es für die Rechtsnormen, welche die Rückerstattung von staatlichen Beiträgen an Kindesschutzmassnahmen vorsehen, zentral, ob der Beitrag «endgültig» öffentlich-rechtlicher Natur ist oder nicht. Im vorliegenden Entscheid hat das Bundesgericht festgehalten, aus der IVSE lasse sich nicht ableiten, ob es sich bei den darauf gestützten Leistungen des Gemeinwesens um öffentlich-rechtliche Beiträge handelt.

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Weisungen im Kontext von Geschlechtsangleichungen

Gemäss Art. 30b Abs. 1 ZGB kann jede Person, die innerlich fest davon überzeugt ist, nicht dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht zuzugehören, beim Zivilstandsamt erklären, dass sie den Eintrag ändern lassen will. Die erklärende Person kann einen oder mehrere neue Vornamen in das Personenstandsregister eintragen.

In einem neueren Urteil musste sich das Bundesgericht mit dieser Bestimmung im kindesschutzrechtlichen Kontext auseinandersetzen. Eine 2007 geborene Person, deren bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht „weiblich“ war, wollte durch die Änderung des Geschlechtseintrages eine Geschlechtsangleichung vornehmen. Für die Änderung des Eintrages müssen dem Zivilstandsamt bestimmte Ausweispapiere vorgelegt werden. Die gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Person weigerten sich – auch nach entsprechender Weisung der KESB -, der Beiständin ihres Kindes die Ausweispapiere zu übergeben. Dies im Wesentlichen mit der Argumentation, das Zivilstandsamt sei nicht qualifiziert, zu entscheiden, ob ihr Kind urteilsfähig sei (Hintergrund: Jugendliche ab 16 können auch ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertretung den Geschlechtseintrag ändern lassen, sofern sie urteilsfähig sind, vgl. Art. 30b Abs 4 Ziff. 1 ZGB). Vielmehr sei ein ärztliches Attest nötig. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte verneinte das Gericht diese Argumentation.

Damit können die KESB die Inhaber der elterlichen Sorge anweisen, die für die Änderung des Geschlechtseintrages nötigen Unterlagen herauszugeben, auch wenn keine ärztlichen Atteste betreffend die Urteilsfähigkeit der minderjährigen Person vorliegen.

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Ausflug in die Obdachlosenhilfe: Housing first

In klassischen Modellen der Obdachlosenhilfe erhalten obdachlose Personen erst eine Wohnung zugewiesen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Diese Bedingungen sind gerade für Menschen mit einer psychischen Störung (z.B. drogensüchtige Personen) oft nur schwer erfüllbar. Der Kanton Basel-Stadt hat in den letzten vier Jahren pilotweise das Modell „Housing first“ bei Personen mit komplexen psychischen Problemen und / oder einer Suchterkrankung erprobt, welche durch bestehende Wohn-Angebote nicht erreicht werden konnten oder die solche Angebote bereits erfolglos durchlaufen haben. Diesem Modell nach erhalten obdachlose Personen unmittelbar eine Wohnung, ohne dass sie Vorbedingungen erfüllen müssen. Danach können sie auf fakultativer Ebene die Unterstützung von Sozialarbeitenden in Anspruch nehmen. Der Kanton Basel-Stadt hat nun ein positives Fazit gezogen und „Housing first“ per Anfang Dezember in den Regelbetrieb überführt. Mehr Informationen finden sich hier.

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