Besuchskontakt und psychische Erkrankung

Das Bundesgericht erinnert in einem neueren Entscheid daran, dass das Vorliegen einer psychischen Erkrankung alleine keine Einschränkung des persönlichen Verkehrs rechtfertigt. Vielmehr muss konkret ausgeführt werden, inwiefern durch die Erkrankung das Wohl der Kinder gefährdet sei, wenn diese mit dem Vater alleine seien. Allgemeine Formulierungen – wie das sich der Vater infolge dieser Erkrankung oft „merkwürdig“ verhalte – reichen dazu nicht aus.

Der Entscheid ist auch im Übrigen lesenswert: Es imponiert negativ, mit welchen Begründungsansätzen das Obergericht den begleiteten Besuchskontakt begründete

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Beschwerde gegen ärztliche FU – örtliche Zuständigkeit

Nach Art. 429 Abs. 1 ZGB können die Kantone Ärzte und Ärztinnen bezeichnen, die neben der KESB eine fürsorgerische Unterbringung anordnen dürfen. Sehen die Kantone eine ärztliche Zuständigkeit vor, müssen sie auch deren örtliche Zuständigkeit regeln. In der Praxis sowie in der Literatur war bis anhin umstritten, welche Instanz für eine allfällige Beschwerde zuständig ist. Das Bundesgericht hat in einem neuen Urteil diese Frage für interkantonale Verhältnisse geklärt: Örtlich zuständig ist die Beschwerdeinstanz(en) desjenigen Kantons, auf dessen Hoheitsgebiet die fürsorgerische Unterbringung angeordnet worden ist. Nicht massgebend ist demgegenüber der Ort, an dem die fürsorgerische Unterbringung vollzogen wird. Ordnet eine Arztperson im Kanton Basel-Stadt die fürsorgerische Unterbringung an und wird die Person im Anschluss in einer Einrichtung im Kanton Basel-Landschaft verbracht, ist also die Beschwerdeinstanz im Kanton Basel-Stadt zuständig.

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Einschränkung der Akteneinsicht: Schwärzung von bereits bekannten Aktenstellen?

Gemäss Art. 449b ZGB haben die Beteiligten eines Verfahrens vor der KESB Anspruch auf Akteneinsicht. Dieser Anspruch kann gemäss Abs. 2 beschränkt werden, «soweit nicht überwiegende Interessen entgegenstehen».

In einem Verfahren hat das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt implizit festgehalten, Vereinbarungen zwischen der KESB und Dritten, wonach gewisse Akten einer Partei (hier: dem Vater) nicht herausgegeben würden, seien nicht rechtsverbindlich: Vielmehr ist massgebend, ob ein überwiegendes Interesse i.S.v. Art. 449b Abs. 2 ZGB besteht oder nicht.  

Der Vater – dem die KESB die Akteneinsicht aufgrund seines Gefährdungspotentials teilweise eingeschränkt hatte – hat in seiner Beschwerde unter anderem geltend gemacht, er kenne die Kindsmutter und ihr Umfeld und Unterstützungssystem bereits seit 2011 und habe deshalb Kenntnis der geschwärzten Daten. Damit stellte er sich auf den Standpunkt, die Akteneinsicht sei ungeeignet (und deshalb unverhältnismässig). Dem hielt das Appellationsgericht entgegen, auch wenn eine Verfahrenspartei bereits gewisse Kenntnisse der geschwärzten Daten habe, stehe dies der Einschränkung des Akteneinsichtsrechts nicht entgegen: Weil die Behörden nicht sicher wissen können, über welche Kenntnisse er verfügt, hätten sie dafür Sorge zu tragen, dass die von ihm ausgehende Gefährdung möglichst gering gehalten werden könne.

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Ausflug ins Strafrecht: Vollzug einer Freiheitsstrafe und Wahrung des Kindeswohls

Eine alleinerziehende, im Kanton Luzern wohnhafte Mutter wurde zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Sie wurde vom zuständigen Amt zum Strafantritt per 25. März 2019 in der JVA Hindelbank vorgeladen. Gegen den Strafantritt beschwerte sich die Mutter letztlich vor Bundesgericht. Sie machte geltend, ihr 6-jähriger Sohn leide an Schlafstörungen, und ihre 13-jährige Tochter sei an einer Muskelerkrankung mit progredienter Skoliose erkrankt. Aus diesen Gründen beantragte die Mutter, ein über den üblichen Rahmen im Strafvollzug hinaus erweitertes – vorzugsweise tägliches – Kontaktrecht zu ihren beiden Kindern zuzulassen und sie hierzu in einer geeigneten Strafanstalt unterzubringen bzw. eine für diese Bedürfnisse angepasste andere Vollzugsform anzuordnen (insbes. einen offenen Strafvollzug, d.h. den Strafvollzug in einer offen geführten Institution)

Gemäss Art. 80 StGB darf von den für den Vollzug geltenden Regeln zu Gunsten des Gefangenen unter anderem abgewichen werden: 1. bei Schwangerschaft, Geburt und für die Zeit unmittelbar nach der Geburt; sowie 2. zur gemeinsamen Unterbringung von Mutter und Kleinkind (d.h. gemäss Bundesgericht Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr), sofern dies auch im Interesse des Kindes liegt. Diese Ausnahmebedingungen lagen vorliegend nicht vor. Die Mutter machte vor Bundesgericht deshalb mit diversen Rügen geltend, es müssten mit Blick auf das Kindeswohl auch noch weitere Ausnahmen zulässig sein. Das Bundesgericht hielt in einem ersten Schritt fest, die schweizerischen Bestimmungen zum Strafvollzug seien klar und würden der Mutter keinen Anspruch auf einen ihren Forderungen entsprechenden Strafvollzug verleihen. Insbesondere nicht auf einen offenen Strafvollzug.

In einem zweiten Schritt prüfte das Bundesgericht, ob sich aus dem Völkerrecht (d.h. dem internationalen Recht) etwas anderes ergibt. Dabei betonte das Bundesgericht, die Mutter sei nicht befugt, sich im eigenen Namen auf die Kinderrechtskonvention (KRK) zu berufen.

Dennoch ging das Gericht teilweise inhaltlich auf die KRK ein und hielt fest, Art. 37 gewähre nur Garantien für Kinder im Freiheitsentzug (nicht aber Kinder, deren Eltern eine Freiheitsstrafe verbüssen müssen). Weiter hielt das Gericht fest, die KRK (sowie weitere menschenrechtliche Übereikommen sowie die Bundesverfassung) verhindere nicht den Vollzug der gesetzmässigen Freiheitsstrafe von Eltern. Mit der Frage, inwiefern der Strafvollzug gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Familienleben) verstossen, hat sich das Gericht unter Verweis auf die hohe Freiheitsstrafe und die daraus resultierenden Folgen im schweizerischen Recht nicht befasst.

Die Mutter machte schliesslich geltend, sie sei in eine Anstalt im Kanton Luzern einzuweisen, und nicht in einer Einrichtung im Kanton Bern. So könne sie näher zu ihren Kindern sein. Das Bundesgericht wies dieses Ansinnen unter anderem mit dem Argument ab, in der JVA Hindelbank seien Besuchskontakte in einem höheren Umfang zulässig als in der luzernerischen Anstalt.

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Fremdplatzierung: Beweisthema und Begutachtung

In einem neuen Urteil hat sich das Bundesgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, was das Beweisthema bei einem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist. Es hat festgehalten, das Gesetz knüpfe die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht an bestimmte Ursachen oder ein Fehlverhalten oder gar Verschulden der Eltern. Vielmehr allein an den Umstand, dass die gedeihliche Entwicklung des Kindes in seiner gegenwärtigen Betreuungssituation gefährdet ist und keine andere Möglichkeit als ein Wechsel der Betreuungssituation Abhilfe schaffen kann. Für den vorliegenden Fall war damit nicht relevant, ob das Kind (während des Zusammenlebens der Eltern) Zeugin häuslicher Gewalt geworden ist (und deshalb traumatisiert ist), sondern, dass sich die Entwicklung des Kindes in den zwei Jahren nach Auszug des Vaters verschlechtert hatte.

Weiter hat das Bundesgericht – wenig überraschend – festgehalten, die KESB müsse beim Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht immer ein Erziehungsfähigkeitsgutachten anordnen.

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Online-Weiterbildung

Die „Academy of European Law“ führt vom 21. bis zum 23. Oktober 2020 eine Online-Weiterbildung zu den Rechten von behinderten (minder- und volljährigen) Personen durch. Das interessante Programm sowie weitere Angaben können hier aufgerufen werden.

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Erstintervention nach häuslicher Gewalt

Der Kinder- und Jugenddienst Basel (KJD) startete im Herbst 2018 das Projekt „Erstintervention nach Häuslicher Gewalt“. Es beinhaltet in erster Linie die Weiterentwicklung der bisherigen Praxis im KJD im Umgang mit Polizeirapporten mit dokumentierter häuslicher Gewalt. Im Vordergrund steht eine – durch die KESB angeordnete – Erstintervention durch den KJD. Diese prüft den Unterstützungsbedarf einer gewaltbetroffenen Familie für alle Familienmitglieder und vermittelt entsprechende Hilfen oder empfiehlt Kindesschutzmassnahmen. Die Erstintervention ist interdisziplinär konzipiert, d.h. es werden sowohl Sozialarbeitende als auch Psychologinnen in einem Fall tätig. Eine PowerPoint-Präsentation zur Erstintervention findet sich hier.

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Normal, gestört, verrückt. Über die Besonderheiten psychiatrischer Diagnosen

Unter diesem Titel hat der bekannte Psychoanalytiker Peter Schneider ein Sachbuch zum Wesen der psychiatrischen Diagnosen verfasst. Eine Besprechung des Buches findet sich in einem Beitrag im „Tagesanzeiger“. Gemäss Eigenwerbung richtet sich das Buch an „LeserInnen, die gerne einen differenzierten Blick auf das Kategorisierungssystem der psychiatrischen Diagnosen werfen möchten, der weder simpel realistisch noch verschwörungstheoretisch ist“.

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