Auszeit

Der Blog geht bis anfangs Januar in den Winterschlaf. Ich möchte mich bei meinen Leser*innen herzlich für das Interesse am Blog sowie die Tips für neue Blogeinträge bzw. für die Verbesserung existierender Einträge bedanken.

Ich wünsche Ihnen frohe Festtage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!

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Tragweite von Privatgutachten

In einem neueren Entscheid hat sich das Bundesgericht mit dem Stellenwert von Privatgutachten beschäftigen müssen. Zunächst hat das Gericht seine Rechtsprechung (BGE 141 III 443) dargelegt, wonach ein Privatgutachten im Zivilprozesse kein Beweismittel darstelle, sondern dem Privatgutachten die Qualität von blossen Parteibehauptungen beizumessen sei. Werde eine Parteibehauptung von der Gegenpartei substanziiert bestritten, so vermögen Parteigutachten als reine Parteibehauptung diese allein nicht zu beweisen. Immerhin vermögen sie allenfalls zusammen mit – durch Beweismittel nachgewiesenen – Indizien den Beweis zu erbringen.

So weit, so unspektakulär. Wesentlicher ist, dass das Gericht auf die Kritik in der Lehre eingegangen ist, wonach diese Rechtsprechung zu praktischen Schwierigkeiten führen könne. Das Bundesgericht nimmt dabei Bezug auf Situationen, in welchen Parteien typischerweise ein Privatgutachten einholen, welches dann durch ein gerichtliches Gutachten „bestätigt“ werden muss. Solche Konstellationen sind auch im Kindes- und Erwachsenenschutz denkbar (im vorliegenden Fall ging es allerdings um eine Streitigkeit über Krankentaggelder). Letztlich hat das Bundesgericht aber verzichtet, eine Änderung der Rechtsprechung betreffend die Tragweite von Privatgutachten vorzunehmen. Es hat aber in Erinnerung gerufen, dass die Revision der ZPO vorsieht, die Urkundenqualität von privaten Gutachten der Parteien ausdrücklich in der ZPO festzuhalten (vgl. Art. 168 Abs. 1 lit. b E-ZPO; Botschaft vom 26. Februar 2020 zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung [Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung], BBl 2020 S. 2697 ff., S. 2751 f. mit Verweisen auf die Lehre).  

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Ausflug ins Zivilprozessrecht: Gerichtlich bestellte Vertretung

Ist eine Partei offensichtlich nicht imstande, den Prozess selbst zu führen (fehlende Postulationsfähigkeit), so kann das Gericht sie auffordern, eine Vertreterin oder einen Vertreter zu beauftragen. Leistet die Partei innert der angesetzten Frist keine Folge, so ersucht das Gericht in der Praxis regelmässig die KESB um Errichtung einer Beistandschaft. Dies ist (in den eher seltenen Fällen) nicht nötig, wenn sich der Schutzbedarf der Person alleine auf das Gerichtsverfahren bezieht: Das Gericht (Anmerkung: in einer früheren Version dieses Blogeintrages stand fälschlicherweise „Die KESB“) kann dann selber der betroffenen Person eine Vertretung bestellen (vgl. Art. 69 ZPO).

In einem neuen Urteil musste sich das Bundesgericht mit der Frage beschäftigen, inwiefern eine im erstinstanzlichen Verfahren errichtete Vertretung auch im Rechtsmittelverfahren fortwirkt.  Diesbezüglich hielt das Bundesgericht fest, eine einmal angeordnete notwendige Vertretung bleibe nach der Rechtsprechung bestehen, bis sie aufgehoben und die Postulationsfähigkeit der Partei im entsprechenden Verfahren als wiedererlangt festgestellt werde. Es sei also nicht notwendig, die Vertretung für jede Instanz neu zu bestellen. Immerhin könne sich hieraus für die Rechtsmittelinstanz aber die Notwendigkeit ergeben, beim Entscheid über das Eintreten auf das Rechtsmittel die Postulationsfähigkeit zu überprüfen. Entsprechend der „allgemeinen Grundsätze“ sei diese Prüfung grundsätzlich aber nur auf Antrag hin vorzunehmen.

Folglich muss die gegen ihren Willen vertretene Person selber einen Antrag auf Wiedererlangung der Postulationsfähigkeit stellen. Dies kann sie ohne Mitwirkung der gesetzlichen Vertretung vornehmen. Gemäss Bundesgericht kann die betroffene Person im Erfolgsfall selbständig ein Rechtsmittel einreichen.

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Verhältnis Kindesschutzrecht – Ausländerrecht

Das Bundesgericht hatte in einem heute publizierten Urteil die Gelegenheit, das Verhältnis zwischen Kindesschutzrecht und Ausländerrecht näher zu beleuchten.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Einer Mutter wurde vor über 4 Jahren das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr heute 8-jähriges Kind entzogen. Das Kind ist seit März 2016 – mit Unterbrüchen – in einem Kinderheim platziert. Mit Verfügung vom 20. Dezember 2016 verweigerte das Migrationsamt dem Kind (sowie der Mutter) die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht bestätigt. Auf ein Gesuch um Wiedererwägung des Entscheides vom 20. Dezember 2016 trat das Migrationsamt nicht ein. Dieser Entscheid wurde durch die kantonale Justiz geschützt. Schliesslich gelangte die Mutter wiederum an das Bundesgericht.

In verfahrensmässiger Hinsicht stellte das Bundesgericht sinngemäss klar, es spreche bei behördlich fremdplatzierten Kindern „…einiges dafür“…“, dass ihnen potenziell ein Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 13 Abs. 1 BV bzw. 8 Ziff. 1 EMRK (Schutz des Privatlebens) zustehen würde. Dies genüge für ein Eintreten auf die Beschwerde (unter dem Aspekt von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).

Materiell stellte das Bundesgericht klar, die KESB könne grundsätzlich nicht durch eigene Massnahmen verhindern, dass ein Kind aus ausländerrechtlichen Gründen die Schweiz verlassen muss. Dies gelte jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem sich die KESB einer Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts bei entsprechender Mitwirkung der Mutter nicht von vornherein widersetzen würde. Die KESB habe indessen zu prüfen, wie das Kindeswohl gewahrt werden kann, indem sie namentlich nötigenfalls die Vertretung des Kindes im ausländerrechtlichen Verfahren sicherstellt.

Zugleich stellte das Bundesgericht klar, dass der Kindesschutz nicht an der Grenze endet: Das Kindeswohl müsse auch bei einer Wegweisung gewährleistet werden. Gemäss Bundesgericht könne dies einerseits dadurch geschehen, dass die Zentralen Behörden des neuen (vorgesehenen) Aufenthaltsstaates des Kindes von den Zentralen Behörden der Schweiz (vgl. Art. 1 und 2 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 2007 über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen [BG-KKE; SR 211.222.32] i.V.m. Art. 29 ff. des Haager Kindesschutzübereinkommens vom 19. Oktober 1966 [HKsÜ; SR 0.211.231.011]) über die Problematik informiert werden und mit diesen die nötigen Schutzmassnahmen koordinieren; andererseits könne die Situation des Kindes am neuen Aufenthaltsort mit Hilfe des Internationalen Sozialdienstes (SSI) abgeklärt werden, damit die Schweizer Behörden die nötigen Entscheidungen treffen können. Zu beachten gälte insbesondere, dass die erforderlichen Abklärungen vor einer Ausreise des Kindes erfolgen müssen.

Schliesslich öffnet das Bundesgericht dem Kind eine Hintertüre. Dessen Mutter war ein Tag vor dem Urteil der Vorinstanz zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden (was im Urteil der Vorinstanz nicht mehr berücksichtigt werden konnte). Unter diesen Umständen wies das Gericht das Kind (d.h. dessen Rechtsvertreter) darauf hin, es könne beim Migrationsamt ein neues Gesuch um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung oder allenfalls einer Härtefallbewilligung (Art. 30 AIG) stellen. 

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Entscheid betreffend die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes: Rechtsmittelfrist

Oft regelt die KESB die Entschädigung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes zusammen mit dem verfahrensabschliessenden Entscheid. Gegen diesen Endentscheid sieht das ZGB eine 30-tägige Beschwerdefrist vor (vgl. Art. 450b ZGB). Das Obergericht des Kantons Zürich hat in einem neueren Entscheid zu Recht erwogen, bei der Festsetzung der Entschädigung handle es sich um einen verfahrensleitenden Entscheid, so dass sich das Rechtsmittel für die Anfechtung der Entschädigung nach dem kantonalen Recht (vorliegend: nach Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 319 ff. ZPO) richte (und nicht nach Art. 450b ZGB). Vorliegend bestand deshalb «nur» eine 10-tägige Beschwerdefrist zur Anfechtung der Entschädigung (vgl. Art. 321 Abs. 2 ZPO). Der Anwalt konnte sich aber auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 5 BV) berufen.

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Kinder haften nicht für ihre Eltern

Ab und zu kommt es vor, dass Eltern erheblich auf die Schulleitung sowie die Lehrkräfte ihres Kindes einwirken wollen. Die «Legal Tribune Online» berichtet in einem Artikel von einem Fall aus Deutschland, in welchem ein Vater Schulleitung und Lehrkräfte so sehr terrorisierte, dass diese teils erkrankten und sich außer Stande sahen, den Schüler weiter zu unterrichten. Daraufhin wurde der Schüler -dessen Lern- und Leistungsbereitschaft, Arbeitshaltung, Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Teamfähigkeit und Verhalten zuletzt mit sehr ausgeprägt bewertet worden sind – einer anderen Schule zugeteilt. Im Ergebnis „haftet“ damit das Kind für das Betragen seines Vaters.

Das Verwaltungsgericht Berlin kommt zum Schluss, dies sei nicht rechtmässig. Hierfür sei eine explizite Rechtsgrundlage nötig: Denn bei der Maßnahme handele es sich wegen ihrer erheblichen Grundrechtsrelevanz um eine wesentliche Entscheidung, deren Voraussetzungen vom Gesetzgeber getroffen werden müssten. Die Schule muss damit den Schüler weiterhin unterrichten. Diese Überlegungen gelten auch für das schweizerische Recht.

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