Unentgeltliche Rechtspflege

Eine Voraussetzung für die unentgeltliche Rechtspflege ist, dass ein Verfahren nicht aussichtslos erscheint (vgl. Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 117 lit. b ZPO). In der Praxis pflegen die Behörden teilweise, ein Verfahren mit einer nur sehr allgemein gehaltenen Begründung als aussichtslos zu qualifizieren. Das Bundesgericht hat in einem neueren Urteil demgegenüber festgehalten, dass allgemeine Ausführungen – wie ein Verweis auf die Umstände des Falles und die Verfahrensakten (“ vu de l’issue de la cause et des éléments versés au dossier „) – nicht ausreichen, um von Aussichtslosigkeit auszugehen (und die unentgeltliche Rechtspflege zu verneinen).

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Behandlung ohne Zustimmung

Die in Portugal entwickelte „Compulsory Treatment Checklist“ (CTC) hat zum Ziel, die Notwendigkeit einer Behandlung ohne Zustimmung möglichst objektiv zu beurteilen. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der CTC auseinander. Er kommt zum Schluss, bei der Checkliste handle es sich um ein nützliches Instrument in Bezug auf Behandlungen ohne Zustimmung.

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Art. 301a – Entzug der aufschiebenden Wirkung bei Wechsel ins Ausland

Gemäss Art. 301a Abs. 2 entscheidet die KESB u.a. bei einem Umzug ins Ausland über den Wechsel des Aufenthaltsortes des Kinde, wenn die Eltern die gemeinsame elterliche Sorge ausüben und sich über den neuen Aufenthaltsort nicht einigen können. Gegen den Entscheid der KESB steht die Beschwerde nach Art. 450 ff. ZGB offen.

In einem vom Bundesgericht zu beurteilenden Fall (BGE 143 III 193) hatte die KESB einem Entscheid vom 27. Januar 2016 der Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen. Kurz nach dem Entscheid, wohl am 29. Januar 2016, reiste die Mutter mit dem Kind nach Deutschland aus. Mit der Folge, dass die schweizerischen Gerichte für den Fall nicht mehr zuständig waren. Der Vater konnte die Entscheidung der KESB also nicht gerichtlich überprüfen lassen. Das Bundesgericht erachtete dies als rechtmässig.

Der Vater zog den Fall daraufhin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter. Dieser stellte in seinem Urteil eine Verletzung von Art. 6 Ziff 1 EMRK fest. Nach Auffassung des Gerichtshofes ist der Entzug der aufschiebenden Wirkung zwar in Ausnahmesituationen zulässig. Doch dürften die Folgen eines Entzuges der aufschiebenden Wirkung (hier: die Möglichkeit der Mutter, den Aufenthaltsort des Kindes nach Deutschland zu verlegen) erst eintreten, nachdem der betroffene Elternteil die Möglichkeit hatte, beim Beschwerdegericht um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu ersuchen (vgl. Ziff. 67 ff.).

Im vorliegenden Fall hatte der Vater den Entscheid der KESB bereits am 27. Januar 2016 per Fax erhalten. Er erhob am 22. Februar 2016 Beschwerde, d.h. erst rund einen Monat nach Erhalt des Entscheides. Der Gerichtshof behandelte deshalb die Frage, ob der Vater nicht hätte früher reagieren und um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung reagieren müssen. Er verneinte diese Frage mit Blick auf den Umstand, dass die Mutter wohl bereits zwei Tage nach dem Entscheid mit dem Kind nach Deutschland ausgereist ist und der Vater für die Abklärung des Rechtsweges, aufgrund der komplexen juristischen Situation, etwas Zeit in Anspruch habe nehmen können.

Für die Praxis der KESB bedeutet dies, dass mit dem Entzug der aufschiebenden Wirkung auch eine Anordnung getroffen werden sollte, welche es dem „widersetzenden Elternteil“ ermöglicht, in einem angemessenen Zeitraum die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bei der Beschwerdeinstanz zu beantragen (d.h. Anordnung, dass der umzugswillige Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes erst nach einem bestimmten, für den anderen Elternteil angemessenen Zeitpunkt ins Ausland verlegen darf).

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Entlassung Beistandsperson

Die KESB kann eine Beistandsperson aus wichtigem Grund entlassen entlassen (vgl. Art. 423 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB). In einem an sich unspektakulären Urteil hatte das Bundesgericht die Möglichkeit, klarzustellen, dass ein solcher Grund nicht vorliegt, wenn eine Behörde entgegen dem Antrag der Beistandsperson (hier: Antrag auf teilweisen Entzug der elterlichen Sorge in Bezug auf den Aufgabenbereich Gesundheit, Art. 308 Abs. 3 ZGB) entscheidet.  Auch bestehe ein solcher Grund (natürlich) nicht per se, wenn die Beistandsperson selber einen Antrag auf Wechsel der Beistandsperson stellt: Amtsmüdigkeit stellt für sich alleine genommen keinen wichtigen Grund dar.

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ICD-11

Am 1. Januar 2022 ist die 11. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) für die Mitgliedsstaaten der WHO in Kraft getreten. Damit verbunden ist die Aufnahme neuer psychischer Störungen (z.B. Gamesucht), die Neuklassifizierung bestehender psychischer Störungen (wie z.B. der Persönlichkeitsstörung) sowie der Entpathologisierung von psychischen Erkrankungen gemäss der ICD-10 (z.B. Geschlechtsinkongruenz). Die psychischen Erkrankungen sind nicht mehr im fünften Kapitel (ICD-10 F) aufgeführt, sondern finden sich im sechsten Kapitel (ICD-11 06).

Für die Einführung der ICD-11 ist eine Übergangszeit von fünf Jahren vorgesehen. Wann die ICD-11 in der Schweiz verbindlich sein wird, ist noch nicht klar. Bis dahin wird in der Praxis auch die ICD-10 eingesetzt werden.

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Finanzierung Aufenthalte in ausserkantonalen Einrichtungen

In einem neueren Urteil musste sich das Bundesgericht mit der Frage beschäftigen, wer für den Aufenthalt einer betroffenen Person aufzukommen hat, welche in einer ausserkantonalen Einrichtung lebt. Das Bundesgericht hat dargelegt, für die Anwendung der IVSE (so sie nach kantonalem Recht anwendbar ist) müsse ein interkantonaler Sachverhalt vorliegen. In casu war dies der Fall, weil der Unterstützungswohnsitz nach ZUG im Kanton Zürich liegt, der zivilrechtliche Wohnsitz aber in Altdorf/SZ. Die IVSE regelt als Grundsatz, dass der Standortkanton (also der Kanton, in welchem das Kind den zivilrechtlichen Wohnsitz hat), der Einrichtung des Standortkantons die Leistungsabgeltung zusichert. Nicht geregelt ist dadurch die Frage, wer im innerkantonalen Verhältnis für die Kosten aufzukommen hat. Dies muss das kantonale Recht regeln (vorliegend das SEG/SZ).

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Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie

Eine neue Studie der UPK Basel hat die Haltung der Basler Bevölkerung zu Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie untersucht.  Die Studie zeigt, dass neben der Einschätzung der Situation auch Vorurteile gegenüber psychisch kranken Personen dazu führen, dass Zwangsmassnahmen befürwortet werden. Vorurteilen spien je stärker eine Rolle, je stärker eine Zwangsmassnahme die Person einschränkt. Eine kurze Zusammenfassung der Studie findet sich hier. Die Studie kann hier abgerufen werden.

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Neues Jahr, neues Recht Teil II

Seit April 2020 besteht die Covid-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht. Der Bundesrat hat zunächst die Geltungsdauer Verordnung bis zum 30. September 2020 beschränkt. Nach zweimaliger Verlängerung der Geltungsdauer gilt die Verordnung bis zum 31. Dezember 2022.

Die Verordnung bringt für das Verfahren vor der KESB bzw. der Beschwerdeinstanz eine Erleichterung mit sich; Gemäss Art. 6 der Verordnung können persönliche Anhörungen (Art. 314a Abs. 1 ZGB; Art. 447 ZGB; Art. 450e ZGB) und Verhandlungen mittels Video- oder Telefonkonferenz, wenn bestimmte Sicherheitsvorkehren getroffen werden werden (vgl. Art. 4 Verordnung). Eine Anhörung via Video- oder Telefonkonferenz dürfte jedoch unstatthaft sein, wenn dadurch der Zweck der Anhörung untergraben wird. Zum Beispiel, wenn demente Personen aufgrund ihrer Erkrankung nur sehr eingeschränkt in der Lage sind, einer Video- oder Telefonkonferenz zu folgen.

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Zwangsernährung

In einem Urteil vom 17. Dezember 2021 hat sich das Bundesgericht ausführlich mit der Zulässigkeit der Zwangsernährung (im Rahmen einer Behandlung ohne Zustimmung, Art. 434 f. ZGB) beschäftigt. Dabei hielt es fest, eine Zwangsernährung setzte im Rahmen einer Behandlung ohne Zustimmung nicht voraus, dass eine drohende und akute Lebensgefahr vorliege. Diese Voraussetzung gelte vielmehr nur in Bezug auf Zwangsernährungen von urteilsfähigen Personen.

Weiter übernahm das Bundesgericht die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfasungsgerichts, wonach bei einer auf längere Dauer fixierten Person zwingend eine Eins-zu-Eins Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Fachpersonal gewährleisten werden müsse, nicht. Gemäss dem Bundesgericht genügt vielmehr, dass sich die betroffene Person in einer «…ersten Phase der Behandlung, d.h. der Zeitabschnitt, in welchem sich die Risiken der Behandlung am ehesten materialisieren…» auf einer Intensivstation befindet. Auf diesen Stationen besteht nach Kenntnis des Verfassers regelmässig keine Eins-zu-Eins Betreuung. Zur Qualifikation der überwachenden Personen hielt das Gericht kryptisch fest, die Einrichtung dürfe «…jene Personen einsetzen, welche nach Massgabe der gesetzlichen Vorgaben hierfür qualifiziert sind…». Auf welche Vorgaben sich das Bundesgericht bezieht, bleibt dabei unklar.

Schliesslich hielt das Gericht auch fest, die Verhältnismässigkeit der angeordneten Massnahme (d.h. hier der Zwangsernährung) können nicht mit einem Hinweis auf ein mögliches kontraproduktives Verhalten der betroffenen Person in Zweifel gezogen werden. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, zumal das Erwachsenenschutzrecht Verschuldensunabhängig ist.

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