Erziehungsaufsicht, um ein Auge auf das Kind zu behalten?

In der Praxis werden zuweilen Erziehungsaufsichten mit dem Gedanken errichtet, ein Auge auf die Situation des Kindes behalten zu können. Das Bundesgericht hat zu Recht ein solches Vorgehen beanstandet, jedenfalls solange die Behörden nicht konkret darlegen können, weshalb das Kindeswohl gefährdet ist.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Auf eine Gefährdungsmeldung vom November 2023 hin hat eine (Tessiner) KESB mit Urteil vom 20. Februar 2024 u.a. den Sozialdienst angewiesen, einen Besuch in der Wohnung der Mutter durchzuführen und die KESB über die Situation zu informieren. In einem folgenden Bericht an die KESB hat der Sozialdienst die Notwendigkeit einer Therapie für das Kind festgestellt. Dies lehnte die Mutter ab. Mit Entscheid vom 21. Juni 2024 hat die KESB daraufhin den Sozialdienst als Erziehungsaufsicht zu Gunsten des Kindes bestellt und forderte den Sozialdienst auf, alle drei Monate aktualisierte Berichte vorzulegen.

Die Mutter hat diese Entscheidung erfolglos an die kantonale Beschwerdeinstanz weitergezogen. Diese begründete die Errichtung der Erziehungsaufsicht unter anderem damit es bestehe „die Möglichkeit, dass das Kind nach wie vor eine Beaufsichtigung, ein externes ‚Auge‘ zum Schutz seiner psychischen Stabilität und seines Wohlbefindens benötigt“ bzw. es erscheine unwahrscheinlich, dass sich die in der Gefährdungsmeldung beschriebene Situation des Kindes innerhalb weniger Monate wesentlich (zum Positiven) verändert hat.

Das Bundesgericht hielt fest, diese Begründung sei zu allgemein und hypothetisch.

WeiterlesenErziehungsaufsicht, um ein Auge auf das Kind zu behalten?

Nachfrist bei unentgeltlicher Rechtspflege

Ein neuer Urteil des Bundesgerichts (im Zusammenhang mit der Staatshaftung) beschäftigt sich mit der Praxis gewisser (Kindes- und Erwachsenenschutz-)Behörden und Gerichte, Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege ohne weitere Nachfrage abzuweisen, wenn Unterlagen zum Gesuch fehlen.

Das Bundesgericht hebt hervor, zwar sei das Gericht (bzw. seien die Behörden) gemäss Art. 29 Abs. 3 BV nicht verpflichtet, einer anwaltlich vertretenen Person eine Nachfrist anzusetzen, damit ein unvollständiges oder unklares Gesuch verbessert werden könne. In der Praxis wird aber zuweilen übersehen, dass von diesem Grundsatz Ausnahmen bestehen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dies etwa bei „notorischer Mittellosigkeit“ der Fall. Dann muss die Behörde nach dem Bundesgericht eine Frist zur Einreichung der Unterlagen ansetzen, auch gegenüber rechtskundig begleiteten Gesuchsteller:innen.

WeiterlesenNachfrist bei unentgeltlicher Rechtspflege

Abschaffung des zweistufigen kantonalen Beschwerdeverfahrens

Die Kantone Zürich und Schaffhausen kennen für das KESB Beschwerdeverfahren allgemein zwei Beschwerdeinstanzen. Der „Tagesanzeiger“ berichtet nun, dass der Regierungsrat des Kantons Zürich diese Sonderregelung aufheben möchte (so dass das Obergericht des Kantons Zürich im regulären Beschwerdeverfahren als einzige kantonale Beschwerdeinstanz bestehen würde). Meines Erachtens ist diese Revision überfällig: Wenn – wie der „Tagesanzeiger“ berichtet – 70% der kantonalen Verfahren mehr als 200 Tage dauern (und 20% länger als ein Jahr), ist dies deutlich zu lange, bis Rechtsklarheit besteht (was bei einem zweistufigen Instanzenzug natürlich nicht von den Beschwerdeinstanzen zu verantworten ist). Zumal die Betroffenen den Entscheid der oberen kantonalen Instanz auch noch an das Bundesgericht weiterziehen können.

Durch die Abschaffung des zweistufigen Beschwerdeverfahrens wird der Rechtsschutz für Betroffene, welche nicht in der Lage sind, selbständig eine Beschwerde zu erheben (bzw. sich um eine Vertretung zu bemühen), jedoch insofern eingeschränkt werden, als die Betroffenen faktisch nur noch über eine Beschwerdeinstanz verfügen werden: Nahestehende Personen sind derzeit nur im kantonalen Verfahren zur Beschwerde legitimiert, nicht aber vor Bundesgericht. (Auch) deshalb steht zu hoffen, dass das BGG dergestalt abgeändert werden wird, als nahestehende Personen den Entscheid der kantonalen Beschwerdeinstanz an das Bundesgericht weiterziehen können. Dies ist im Vorentwurf zur Revision des Erwachsenenschutzes so beabsichtigt.

Wer mehr über die vom Regierungsrat des Kantons Zürich beabsichtigte Revision des EG KESR/ZH erfahren möchte, findet hier weiterführende Unterlagen.

WeiterlesenAbschaffung des zweistufigen kantonalen Beschwerdeverfahrens

Weisungen (Art. 307 Abs. 3 ZGB) zur medizinischen Behandlung eines Elternteils

Inwiefern die KESB die Eltern sowie Dritte anweisen kann, sich behandeln zu lassen, wird in der Lehre kontrovers diskutiert. Die obere kantonale Gerichtspraxis geht tendenzielle davon aus, dass Weisungen zur medizinischen/psychiatrischen Behandlung eines Elternteils unzulässig sind (vgl. KantGer/GR, ZK1 14 52, v. 07.07.2014; OGer/ZH, ZKE 2024, 29 f.). In einem neu publizierten Bundesgerichtsurteil hat das Bundesgericht allerdings eine Weisung nicht beanstandet, wonach ein Elternteil die Suchtbehandlung fortsetzen müsse sowie monatlich einen PEth-Test sowie eine Bescheinigung über die psychiatrische Behandlung vorzulegen habe. Allerdings hat das Bundesgericht die Problematik, ob entsprechende Weisungen überhaupt zulässig sind, nicht näher geprüft (dieser Aspekt wurde durch die Beschwerdeführerin nicht gerügt). Damit bleiben die genauen Grenzen von Weisungen zur Behandlung eines Elternteils unklar.

WeiterlesenWeisungen (Art. 307 Abs. 3 ZGB) zur medizinischen Behandlung eines Elternteils

Staatshaftung

Wie ist die Haftung geregelt, wenn eine Person geltend macht, ein Mitglied der Beschwerdeinstanz habe sich widerrechtlich verhalten? Diese Frage wurde in einem Fall aufgeworfen, welcher an das Bundesgericht gelangte (das Bundesgericht selber musste über die Frage allerdings nicht entscheiden). Dieser findet sich hier.

Prima vista könnte man meinen, dass sich die Staatshaftung für die (Un)Tätigkeit der Mitglieder einer Beschwerdeinstanz nach Art. 454 ff. ZGB richtet. Allerdings sind diese Bestimmungen nach dem Wortlaut von Art. 454 Abs. 2 ZGB „nur“ anwendbar, wenn Mitglieder der KESB oder der Aufsichtsbehörde widerrechtlich handeln. Nicht genannt wird demgegenüber die Beschwerdeinstanz. Die Vorinstanz des Bundesgerichts (das Kindes- und Erwachsenenschutzgericht des Kantons Bern) gelangte deshalb zum Schluss, die allgemeinen kantonalen Staatshaftungsvorschriften seien anwendbar. Auch richte sich die Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des kantonalen Staatshaftungsrechts.

WeiterlesenStaatshaftung

Revision Familienverfahrensrecht

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 06.06.2025 einen Postulatsbericht verabschiedet, welcher (basierend auf ein Gutachten von Frau Prof. Lötscher und Herr Prof. Bohnet) eine Bestandesaufnahme sowie Reformvorschläge zur Familiengerichtsbarkeit und zum Familienverfahren enthält. Thema des Postulats ist unter anderem die Einführung von Familiengerichten. Dabei will der Bundesrat die Kantone nicht zur Errichtung solcher Gerichte verpflichten. Etwas im Spannungsverhältnis zu diesem gesetzgeberischen Unwillen steht jedoch der Vorschlag, wonach künftig die (regelmässig monodisziplinären) Gerichte immer für die Regelung der Kinderbelange zuständig sein sollen. Die entsprechende sachliche Zuständigkeit der – für Kinderbelange an sich kompetenteren KESB – würde also entfallen. Der Bericht sowie das Gutachten finden sich hier.

Das Vernehmlassungsverfahren zur Anpassung der gesetzlichen Regelungen wird voraussichtlich Ende 2026 eröffnet werden.


WeiterlesenRevision Familienverfahrensrecht

Persönliche Anhörung

In einem neu publizierten Urteil musste sich das Bundesgericht unter anderem mit der Tragweite von Art. 447 ZGB beschäftigen.

Dem Urteil lag, soweit in Bezug auf die persönliche Anhörung interessierend, folgender Sachverhalt zu Grunde: Die KESB hat einen Vater mittels einer Weisung untersagt, im Rahmen seines persönlichen Kontaktes das Kind durch die Grossmutter väterlicherseits betreuen zu lassen bzw. der Vater wurde angewiesen, bei persönlichen Kontakten zwischen dem Kind und der Grossmutter väterlicherseits stets anwesend zu sein. Grund für die Weisung war die Behauptung der Mutter, wonach die Grossmutter väterlicherseits der Vater in seiner Kindheit sexuell missbraucht habe. Einige Zeit später hob die KESB diese Weisung wieder auf. Gegen die Aufhebung der Weisung ist die Mutter schliesslich an das Bundesgericht gelangt.

Soweit vorliegend interessierend hat sie dabei geltend gemacht, die KESB habe (unter anderem) sie zu Unrecht nicht mündlich angehört, was die KESB missachtet habe. Unbestritten war demgegenüber, dass die Mutter vor dem Entscheid der KESB Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme erhielt.

Das Bundesgericht hielt zunächst fest, im Kindesschutz seien grundsätzlich die Eltern i.S.v. Art. 447 ZGB persönlich anzuhören. Im Ergebnis hielt das Gericht jedoch fest, die persönliche Anhörung sei unverhältnismässig, wo es für die Behörde auf den persönlichen Eindruck der betroffenen Person nicht entscheidend ankomme. In einer solchen Situation sei nämlich die persönliche Anhörung nicht erforderlich oder geeignet, die mit ihr verfolgten Zwecke (1. Sachverhaltsabklärung; 2. Wahrung der Persönlichkeitsrechte) der betroffenen Person zu erreichen.

Im Ergebnis sieht das Bundesgericht die persönliche Anhörung nur dann zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte als erforderlich, wenn es für die Behörde entscheidend auf den persönlichen Eindruck einer Person ankommt. Weshalb es für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte darauf ankommen soll, dass ein persönlicher Eindruck aus Sicht der Behörde erforderlich ist, bleibt freilich offen.

WeiterlesenPersönliche Anhörung

 Gesundheitsversorgung von fremdplatzierten Kindern

„Pädiatrie Schweiz“ hat zehn Empfehlungen für eine bestmöglich Gesundheitsversorgung für Kinder und Jugendliche erarbeitet, die in Pflegefamilien oder Institutionen aufwachsen. Die Empfehlungen – sowie ein dazu gehöriges Argumentarium sowie Leitfäden – ergänzen die Empfehlungen. Die Dokumente finden sich hier.

Weiterlesen Gesundheitsversorgung von fremdplatzierten Kindern

Gesetzesrevisionen

Der Nationalrat hat heute zwei für den Kindes- und Erwachsenenschutz wichtige (und richtige) Entscheidungen getroffen (mehr findet sich hier):

  • Neu sollen alle volljährigen Schweizerinnen und Schweizer, auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, sollen dieselben politischen Rechte und Pflichten haben.
  • Zudem soll der Grundsatz der gewaltfreien Erziehung im ZGB verankert werden.

Beide Geschäfte gehen nun in den Ständerat. Es bleibt also abzuwarten, ob die obgenannten Aspekte tatsächlich kodifiziert werden.

WeiterlesenGesetzesrevisionen