Behandlung ohne Zustimmung (BoZ) im Kindes- und Erwachsenenschutz (KESR)

Aus einem im strafrechtlichen Kontext ergangenen Urteil zur «strafrechtlichen BoZ» lassen sich auch Grundsätze für die «Boz» im Kindes- und Erwachsenenschutz (KESR) ableiten.

So hat das Bundesgericht explizit anerkannt, dass die Anordnung einer BoZ als Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche i.S.v. Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu qualifizieren ist. Mit der Folge, dass die darin enthaltenen Garantien (z.B.: Anspruch auf öffentliche Verhandlung) anwendbar sind.

Das Bundesgericht äusserte sich deshalb näher zum Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung. Es hielt dazu folgendes fest: «Entscheidet in erster Instanz kein Gericht, hat das Rechtsmittelverfahren den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu genügen und ist namentlich eine öffentliche und mündliche Verhandlung durchzuführen… Entscheidet dagegen bereits in erster Instanz ein Gericht, so hängt die Art der Anwendung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen von den Besonderheiten des konkreten Verfahrens ab. Es ist insbesondere unter Beachtung des Verfahrens als Ganzes und der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob vor einer Berufungsinstanz eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. … Von einer Verhandlung vor der Rechtsmittelinstanz kann etwa abgesehen werden, soweit die erste Instanz tatsächlich öffentlich verhandelt hat, wenn allein die Zulassung eines Rechtsmittels, nur Rechtsfragen oder aber Tatfragen zur Diskussion stehen, die sich leicht nach den Akten beurteilen lassen, ferner wenn eine reformatio in peius ausgeschlossen oder die Sache von geringer Tragweite ist und sich etwa keine Fragen zur Person und deren Charakter stellen. Für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann aber der Umstand sprechen, dass die vorgetragenen Rügen die eigentliche Substanz des streitigen Verfahrens betreffen. Sodann soll grundsätzlich eine erneute Anhörung stattfinden, wenn in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird und der Aufhebung eine andere Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt…». Ist die KESB als Gericht i.S.v. Art. 6 EMRK zu qualifizieren, dürfte gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ein Anspruch auf öffentliche Verhandlung vor der Vorinstanz in aller Regel bestehen, wenn insbesondere die Urteilsfähigkeit und die Fremdgefährdung der betroffenen Person umstritten sind.

Inhaltlich äusserte sich das Bundesgericht zur notwendigen Interessenabwägung bei einer BoZ. Es hielt fest, beim Entscheid über die Verhältnismässigkeit einer BoZ seien insbesondere auch allfällige langfristige Nebenwirkungen einer zwangsweise vorgesehenen Neuroleptika-Behandlung einzubeziehen. Von dieser Pflicht könne sich die Behörde nicht mit dem Hinweis, die behandelnden Ärzt*innen hätten die Neuroleptika-Behandlung regelmässig zu überprüfen, dispensieren.