Weisung Kennenlernen Vater (im Zusammenhang mit der Regelung des Besuchskontaktes)

Diverse Medien haben gestern über einen neuen (zur Publikation vorgesehenen) Bundesgerichtsentscheid berichtet, welchem folgender Sachverhalt zu Grunde lag: C, geboren 2012, ist der Sohn von nicht miteinander verheirateten, getrennt lebenden Eltern. Die Mutter hat die alleinige elterliche Sorge über C inne. Der Vater wurde wegen schwerer Sexualdelikte, unter anderem wegen Vergewaltigung von C.s Halbschwester verurteilt und befindet sich seit 2015 im Strafvollzug. Am 18. November 2021 verfasste der Vater ein Schreiben an die KESB, in welchem er sein Interesse an Kontakten mit seinem Sohn bekundete und (erneut) eine Kontaktaufnahme mit C beantragte. Nachdem sich die Mutter der Kontaktaufnahme widersetzte, ordnete die KESB folgende Weisung gegenüber der Mutter an:

„Zum Wohle und im Interesse von C wird die Kindsmutter gestützt auf Art. 273 Abs. 2 ZGB angewiesen, ihren Sohn durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) W über seinen Vater aufklären zu lassen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich mit seinem Vater auseinander zu setzen, damit zu einem späteren Zeitpunkt dem Kindsvater allenfalls ein Kontaktrecht eingeräumt werden kann. Die Kindsmutter wird angewiesen, sich bis am 30.11.2022 bei Dr. E, KJP W, für eine Terminvereinbarung zu melden.“  Überdies ersuchte die KESB die KJP W um Mitteilung, falls die Kindsmutter dieser Weisung nicht Folge leisten sollte. Die kantonale Beschwerdeinstanz schützte diese Weisung, nicht aber das Bundesgericht.

Zunächst hielt das Bundesgericht zu Recht fest, Art. 273 Abs. 2 ZGB sei nicht eine taugliche Rechtsgrundlage für die vorliegende Weisung, da die vorgenannte Bestimmung „nur“ Weisungen umfasst, welche an eine behördliche Regelung des persönlichen Verkehrs anknüpfen. Vorliegend bestehe eine solche Regelung aber gerade nicht.

Demnach könne die Weisung der KESB „nur“ auf Art. 307 Abs. 3 ZGB ergehen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung waren teilweise nicht dargelegt (Vorliegen einer Gefährdung) bzw. waren teilweise nicht erfüllt (Verhältnismässigkeit der Massnahmen).

Zur Kindeswohlgefährdung hatte die Vorinstanz dargelegt, die Kindesschutzmassnahme (also die Weisung) würde das Kindeswohl nicht gefährden. Wie das Bundesgericht zu Recht kritisiert, hat die Vorinstanz damit die Frage der Gefährdung falsch gestellt: Es geht nicht darum, ob eine Kindesschutzmassnahme das Wohl des Kindes gefährdung würde. Vielmehr darum, ob ohne Kindesschutzmassnahme eine Kindeswohlgefährdung vorliegen würde. Vorliegend also, ob die Unkenntnis von C über seinen Vater C’s Wohl gefährdet. Gemäss Bundesgericht ist dafür entscheiden, ob C überhaupt schon die Reife erreicht hat, die eine Konfrontation mit den Gründen für die Inhaftierung seines Vaters und eine Auseinandersetzung mit diesen Fakten voraussetzt. Solange dies nicht der Fall sei, könne der Verzicht auf die Aufklärung nicht als Kindeswohlgefährdung erscheinen.

Letztlich konnte das Bundesgericht die Frage nach der Reife mit Verweis auf die (fehlende) Verhältnismässigkeit der Weisung offen lassen: Zu berücksichtigen war nämlich, dass die Aufklärung von C über seinen Vater im Zusammenhang mit der Regelung des Besuchskontaktes zwischen Vater und Sohn ergehen sollte. Aufgrund der diesbezüglich geltenden Untersuchungsmaxime (Art. 275 Abs. 1 i.V.m. Art. 314 Abs. 1 und Art. 446 Abs. 1 ZGB), hätte gemäss Bundesgericht die KESB – nicht die Mutter – die fachmännische Aufklärung des Kindes durch eine Drittperson oder eine entsprechende Begutachtung veranlassen müssen (wobei eine solche Aufklärung nur in Frage gekommen wäre, wenn die Aufnahme persönlicher Kontakte überhaupt in Frage kommt).

Über den vorliegenden Fall von Bedeutung werden die Ausführungen des Bundesgerichts zum Umstand sein, dass die KESB die KJP W um Mitteilung ersucht hat, falls die Kindsmutter dieser Weisung nicht Folge leisten sollte. Solche Anordnungen kommen in der Praxis oft vor. Gemäss Bundesgericht übersehen sie aber, dass Ärztinnen und Ärzte genauso wie Psychologinnen und Psychologen aufgrund ihres Berufsgeheimnisses (Art. 321 StGB) ohne Einwilligung des Klienten bzw. dessen gesetzlichen Vertreters oder behördliche Entbindung vom Berufsgeheimnis Dritten gegenüber nicht einmal die Tatsache erwähnen dürfen, dass ihr Klient bei ihnen in ärztlicher oder psychologischer Behandlung ist.