Verhältnis Kindesschutzrecht – Ausländerrecht

Das Bundesgericht hatte in einem heute publizierten Urteil die Gelegenheit, das Verhältnis zwischen Kindesschutzrecht und Ausländerrecht näher zu beleuchten.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Einer Mutter wurde vor über 4 Jahren das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr heute 8-jähriges Kind entzogen. Das Kind ist seit März 2016 – mit Unterbrüchen – in einem Kinderheim platziert. Mit Verfügung vom 20. Dezember 2016 verweigerte das Migrationsamt dem Kind (sowie der Mutter) die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht bestätigt. Auf ein Gesuch um Wiedererwägung des Entscheides vom 20. Dezember 2016 trat das Migrationsamt nicht ein. Dieser Entscheid wurde durch die kantonale Justiz geschützt. Schliesslich gelangte die Mutter wiederum an das Bundesgericht.

In verfahrensmässiger Hinsicht stellte das Bundesgericht sinngemäss klar, es spreche bei behördlich fremdplatzierten Kindern „…einiges dafür“…“, dass ihnen potenziell ein Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 13 Abs. 1 BV bzw. 8 Ziff. 1 EMRK (Schutz des Privatlebens) zustehen würde. Dies genüge für ein Eintreten auf die Beschwerde (unter dem Aspekt von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).

Materiell stellte das Bundesgericht klar, die KESB könne grundsätzlich nicht durch eigene Massnahmen verhindern, dass ein Kind aus ausländerrechtlichen Gründen die Schweiz verlassen muss. Dies gelte jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem sich die KESB einer Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts bei entsprechender Mitwirkung der Mutter nicht von vornherein widersetzen würde. Die KESB habe indessen zu prüfen, wie das Kindeswohl gewahrt werden kann, indem sie namentlich nötigenfalls die Vertretung des Kindes im ausländerrechtlichen Verfahren sicherstellt.

Zugleich stellte das Bundesgericht klar, dass der Kindesschutz nicht an der Grenze endet: Das Kindeswohl müsse auch bei einer Wegweisung gewährleistet werden. Gemäss Bundesgericht könne dies einerseits dadurch geschehen, dass die Zentralen Behörden des neuen (vorgesehenen) Aufenthaltsstaates des Kindes von den Zentralen Behörden der Schweiz (vgl. Art. 1 und 2 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 2007 über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen [BG-KKE; SR 211.222.32] i.V.m. Art. 29 ff. des Haager Kindesschutzübereinkommens vom 19. Oktober 1966 [HKsÜ; SR 0.211.231.011]) über die Problematik informiert werden und mit diesen die nötigen Schutzmassnahmen koordinieren; andererseits könne die Situation des Kindes am neuen Aufenthaltsort mit Hilfe des Internationalen Sozialdienstes (SSI) abgeklärt werden, damit die Schweizer Behörden die nötigen Entscheidungen treffen können. Zu beachten gälte insbesondere, dass die erforderlichen Abklärungen vor einer Ausreise des Kindes erfolgen müssen.

Schliesslich öffnet das Bundesgericht dem Kind eine Hintertüre. Dessen Mutter war ein Tag vor dem Urteil der Vorinstanz zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden (was im Urteil der Vorinstanz nicht mehr berücksichtigt werden konnte). Unter diesen Umständen wies das Gericht das Kind (d.h. dessen Rechtsvertreter) darauf hin, es könne beim Migrationsamt ein neues Gesuch um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung oder allenfalls einer Härtefallbewilligung (Art. 30 AIG) stellen.