Verfehlte Regelung zur Anfechtung von KESR-Entscheiden vor Bundesgericht

Nahe stehende Personen können Entscheide der KESB vor der kantonalen Beschwerdeinstanz anfechten (vgl. Art. 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB). Vor Bundesgericht bestimmt sich die Beschwerdelegitimation demgegenüber nach Art. 76 Abs. 1 BGG. Danach ist zur Beschwerde u.a. vorausgesetzt, dass die Beschwerde führende Person durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind nahe stehende Personen deshalb nicht per se legitimiert, einen Entscheid der kantonalen Beschwerdeinstanz vor Bundesgericht anzufechten. Der Entscheid des Bundesgerichts 5A_542/2019 vom 30.7.2019 zeigt wieder ein Mal auf, dass es eine Beschwerdelegitimation nahe stehender Personen gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG nur sehr (zu?) restriktiv bejaht. Die Beschwerdelegitimation nahe stehender Personen vor Bundesgericht erweist sich als Fehlkonstrukt: Weil die Betroffenen ihre Interessen aufgrund ihres Schwächezustandes oft nicht selber wahren können, wäre rechtspolitisch eine unbedingte Beschwerdelegitimation nahe stehender Personen zwingend geboten.

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„Ergänzungsentscheide“ der KESB nach Anhängigkeit einer Beschwerde?

Das Familiengericht Zofingen hat in einem Fall trotz bereits hängiger Beschwerde gegen einen Entscheid einen sog. «Ergänzungsentscheid» gefällt. Mit diesem wurden der Zweck und die Dauer der Platzierung einer Jugendlichen abgeändert. In der Folge hat das Obergericht des Kantons Aargau materiell auf den Ergänzungsentscheid abgestellt, obwohl formell der Erstentscheid Anfechtungsgegenstand war. Inwiefern dieses Vorgehen zulässig ist, hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 24. Juli 2019 offenlassen können, da das Obergericht das rechtliche Gehör verletzt hatte. Meines Erachtens geht es aufgrund des Devolutiveffekts nicht an, dass die KESB (bzw. das Familiengericht) nach Anhängigkeit der Beschwerde den angefochtenen Entscheid inhaltlich abändert. Freilich kann die KESB einen Entscheid in Wiedererwägung ziehen (vgl. Art. 450d). Zudem erwachsen Entscheide der KESB generell nicht in materielle Rechtskraft. Der KESB steht es deshalb auch während eines Beschwerdeverfahrens frei, einen neuen Entscheid zu verfassen. In der Folge muss die Beschwerdeinstanz wohl das Verfahren abschreiben (eine Ausnahme müsste allerdings gelten, wenn sich die aufgeworfene Frage jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht und sie im Einzelfall kaum je überprüft werden könnte).

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Behandlung ohne Zustimmung durch andere als psychiatrische Einrichtungen?

Das Obergericht des Kantons Zürich hat sich in einem neueren Entscheid mit der Frage beschäftigen müssen, inwieweit eine Behandlung ohne Zustimmung (BoZ) bei Personen zulässig ist, die in einem Alters- und Pflegeheim fürsorgerisch untergebracht sind. Zunächst hielt das Obergericht unter Verweis auf das Bundesgericht fest, dass eine BoZ nicht in Form eines Realaktes ergehen könne. Mit anderen Worten müsse für eine Behandlung ohne Zustimmung (jedenfalls ausserhalb des strafrechtlichen Kontexts) ein Behandlungsplan gemäss Art. 433 ZGB erstellt und die BoZ gemäss Art. 434 ZGB verfügt werden. In der letzteren Bestimmung ist allerdings vorgesehen, dass «…die Chefärztin oder der Chefarzt der Abteilung…» eine BoZ anordnen darf. Da Alters- und Pflegeheime über keine solche Arztpersonen verfügen, handelt es sich gemäss dem Obergericht dabei um diejenige Person, die der Chefärztin oder dem Chefarzt am nächsten kommen (im vorliegenden Fall um die Arztperson, welche die verabreichten Medikamente verschrieben hat). Das Obergericht hat weiter festgehalten, an Stelle des aufgezeigten Vorgehens könne die betroffene Person nicht einfach darauf verwiesen werden, sie könne die Medikamenteneinnahme verweigern, worauf sie in eine psychiatrische Klinik verlegt würde, in welcher die BoZ förmlich angeordnet würde, worauf sie gegen diese Anordnung Beschwerde erheben könne. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Begriff des Zwanges hält das Gericht fest, der «faktische Zwang» setze bereits mit der Verschreibung eines Medikamentes sowie mit der Drohung einer Verlegung/ Anordnung/Zwangsapplikation bei einer Verweigerung des Medikamentes ein.

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Abweichen von Berichten und von Gutachten

In einem neueren Entscheid hat das Bundegericht bestätigt, unter welchen Voraussetzungen die KESB einerseits von einem Gutachten, andererseits von einem Bericht (z.B. eines Kinder- und Jugenddienstes) abweichen darf. Demnach gelten unterschiedliche Voraussetzungen: Die KESB darf in Fachfragen nur aus triftigen Gründen von einem Gutachten abweichen. Von den Schlussfolgerungen eines Berichtes darf sie demgegenüber unter weniger strengen Voraussetzungen abweichen. Es ist deshalb wichtig, zwischen einem Gutachten und einem Bericht unterscheiden zu können (vgl. hierzu einen Beitrag von Daniel Rosch).

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Wirksamkeit psychosozialer Interventionen, welche FU verhindern

Eine internationale Studie hat sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit psychosoziale Interventionen Zwangseinweisungen zu verhindern vermögen. Gemäss den Verfasserinnen sowie dem Verfasser erweisen sich insbesondere zwei Massnahmen als erfolgsversprechend: Eine vorzeitige Krisenplanung, d.h. eine Absprache zwischen der betroffenen Person und den Mitarbeitenden der Einrichtung betreffend einen allfälligen Wiedereintritt, unter anderem enthaltend den Willen der Patientin für den Fall, dass diese urteilsunfähig sein sollte; sowie psychosoziale Interventionen, welche die Betroffenen Wissen über ihre Erkrankung vermitteln, so dass diese unter anderem auf frühe Anzeichen einer Krise reagieren können.

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Meldevorschriften gegenüber der KESB: Weiterhin eine (kleine) gesetzgeberische Baustelle

Die Frage, wann gegenüber der KESB eine Meldung vorzunehmen ist, bleibt auch nach der diesjährigen Revision der Meldevorschriften eine gesetzgeberische Baustelle: Mit der Revision der ZGB-Vorschriften über Stalking und häusliche Gewalt (vgl. allgemein hierzu hier) sieht ein neuer Art. 28 Abs. 3bis ZGB vor, dass das zuständige Gericht u.a. der KESB eine Meldung vorzunehmen hat, «…soweit dies zu deren Aufgabenerfüllung oder zum Schutz der klagenden Person notwendig erscheint oder der Vollstreckung des Entscheides dient.“ Die Revision wird voraussichtlich 2020 in Kraft treten. Materiell wird sie, was die Meldevorschriften gegenüber die KESB angeht, zu keinen Änderungen führen: Gerichte sind bereits nach der heutigen Rechtslage verpflichtet, soweit nötig eine Meldung an die KESB zu erstatten (vgl. Art. 314d Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; Art. 443 Abs. 2 ZGB). Inhaltlich interessanter sind die übrigen Neuerungen. So insbesondere die Möglichkeit für Zivilgerichte (sic!), eine elektronische Überwachung vorsehen zu können (vgl. nArt. 28c ZGB).

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Patientenverfügung: Blick über den Tellerrand

Das österreichische Recht divergiert wesentlich vom schweizerischen Recht, was die Patientenverfügung betrifft. So ist auch die Volljährigkeit vorausgesetzt, damit eine Person eine Verfügung erlassen kann. Weiter muss eine Aufklärung betreffend die abgelehnte Massnahme durch einen Arzt erfolgen. Die Zeitdauer der Gültigkeit der Patientenverfügung ist zudem begrenzt (nach Ablauf der Zeitdauer ist die Verfügung freilich noch als Orientierungshilfe beizuziehen). Schliesslich kann die Verfügung nur bei bestimmten Stellen abgeschlossen werden. Interessanterweise hat nun eine Gesetzesrevision zu einer teilweisen Aufweichung dieser – aus schweizerischen Sicht strengen – Voraussetzungen geführt. So gilt die Patientenverfügung seit dem 16 Januar 2019 neu 8 statt 5 Jahre. Zudem ist der Abschluss einer Verfügung auch bei einer weiteren Behörde, den sog. Erwachsenenschutzvereinen, möglich. Der Beitrag von Pesendorfer geht auf diese sowie auf weitere Aspekte der Revision ein.

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