Unterschiedlicher Betreuungsaufwand der Beistandsperson je nach finanzieller Situation(?)

In einem neu publizierten Urteil hat sich das Bundesgericht zur Entschädigung der Beistandsperson äussern müssen. An sich ist das Urteil nicht von allgemeiner Bedeutung, wendet es doch die bereits in BGE 145 I 183 sowie in BGE 142 III 153 entwickelte Rechtsprechung auf den Einzelfall an.

Über den Einzelfall hinaus ist eine Bemerkung des Bundesgerichts interessant, wonach eine gewisse Zurückhaltung bei den Handlungen einer Beistandsperson angezeigt sei, wenn die finanzielle Situation der betroffenen Person nicht gut sei. Sonst sei der Aufwand nicht vertretbar (was eine Kürzung der Entschädigung zur Folge hat). Zu Ende gedacht (und wie bereits aus dem UP-Recht wohlbekannt), führt diese Rechtsprechung dazu, dass die Beistandsperson je nach finanzieller Situation der Klientschaft unterschiedlich viel Zeit in die Mandatsführung investieren kann. Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesgericht seine Rechtsprechung tatsächlich in diese Richtung verfestigen wird.

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Parteientschädigung im FU-Beschwerdeverfahren

Gewisse Kantone sehen vor, dass selbst im gerichtlichen Beschwerdeverfahren keine Parteientschädigung geschuldet ist. Nach Auffassung des Bundesgerichts (Willkürkognition) sowie des Obergerichts des Kantons Zürich gilt dies insbesondere, wenn die ZPO subsidiär anwendbar ist (vgl. Art. 450f ZGB), da es dann an einer Gegenpartei mangeln würde, welche zur Leistung einer Parteientschädigung hätte verpflichtet werden können.

Wie das Obergericht aber in einem kürzlich publizierten Urteil (OGer ZH vom 10.11.2020, PA200044; vgl. ZR 2020, 291 ff.) festgehalten hat, kann eine öffentliche Behörde aber dann zur Zahlung einer Parteientschädigung verpflichtet werden, wenn eine formelle Gegenpartei fehlt, die Behörde materiell Parteistellung hat und sich der angefochtene Entscheid zudem als qualifiziert unrichtig erweist.

Die betroffene Person hat im vorliegenden Fall eine Parteientschädigung gestützt auf Art. 5 Ziff. 5 EMRK verlangt. Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung offen gelassen ob dies zulässig ist. Im vorliegend präsentierten Urteil verneint das Obergericht nun die Zulässigkeit. Es begründet dies damit, dass zur Wahrung der aus Art. 5 Ziff. 5 EMRK resultierenden Ansprüche die Klage nach Art. 454 ZGB einschlägig sei.

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Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zur Vorbereitung eines Verfahrens

In den meisten Kantonen dürfte für die Regelung der unentgeltlichen Rechtspflege – neben Art. 29 Abs. 3 BV – die Art. 117 ff. ZPO anwendbar sein (vgl. Art. 450f ZGB). In einem heute publizierten Urteil (vgl. E. 3.2) hat das Bundesgericht klargestellt, dass es die ZPO erlaubt, ein Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung bereits zur Vorbereitung eines Verfahrens einzureichen.  Dies ist in der Praxis des KESR für diejenigen Fälle von Relevanz, in welchen die gesuchstellende Person das Verfahren einleiten möchte, aber im Vorfeld an die Verfahrenseinleitung anwaltliche Beratung benötigt. Die Möglichkeit, das Gesuch frühzeitig einzureichen, ist von Bedeutung,  weil die unentgeltliche Rechtspflege im Grundsatz nicht rückwirkend zu bewilligen ist (vgl. Art. 119 Abs. 4 ZPO e contrario).

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Die KESB als Eheschutzgericht

Mit einem etwas kuriosen Fall musste sich das Bundesgericht in einem neuen Urteil beschäftigen: Mit Eheschutzentscheid vom 23. Oktober 2015 stellte das Regionalgericht Bern-Mittelland das Kind unter die Obhut der Mutter. Zusätzlich regelte das Gericht das (provisorische) Besuchsrecht des Vaters. Für das Kind wurde eine Beistandschaft im Sinne von Art. 308 Abs. 1 ZGB errichtet. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Oberaargau wurde mit dem Vollzug der angeordneten Massnahmen betraut. Nach einer Ausweitung der Beistandschaft auf Art. 308 Abs. 2 ZGB erfuhr das Kontaktrecht zwischen Vater und Kind in der Folge mehrere Anpassungen. Zuletzt regelte die KESB Oberaargau das Besuchsrecht des Vaters mit Entscheid vom 6. Juni 2019 neu. Zu diesem Zeitpunkt waren die Eltern noch miteinander verheiratet.

Das Bundesgericht hat sich nicht inhaltlich zum Fall äussern können, weil das Rechtsschutzinteresse fehlte (auf dem ersten Blick stellt sich diesbezüglich die Frage, ob nicht das Eheschutzgericht für die Anpassungen des Besuchsrechts sachlich zuständig gewesen wäre). Das Gericht hat aber festgehalten, der Entscheid der KESB sei im Rahmen der Beschwerde in Zivilsachen wie ein Eheschutzentscheid zu behandeln: In der Sache sei der angefochtene Entscheid im Anschluss an die von der Vorinstanz als provisorisch bezeichnete Besuchsrechtsregelung ergangen. Weil der Entscheid der KESB wie ein Eheschutzentscheid zu behandeln war, stellte er eine vorsorgliche Massnahme i.S. des BGG dar. Dies hatte zur Folge, dass die Beschwerdeführer einzig die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen konnten.

Die vor dem Bundesgericht zulässigen Beschwerdegründe sind also eingeschränkt, wenn die KESB wie ein Eheschutzgericht amtiert.

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Ambulante Massnahmen: Kognition des Bundesgerichts

In einem heute publizierten Urteil hat das Bundesgericht betont, dass es bei den ambulanten Massnahmen um kantonales Recht handelt. Diese Qualifizierung hat zur Folge, dass das Bundesgericht Eingaben nur beschränkt werden kann: Die Kognition des Gerichts ist auf  Verfassungsrügen beschränkt (Art. 95 BGG). Dabei steht die Rüge im Vordergrund, das kantonale Recht sei willkürlich angewandt worden.

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Ausflug ins Strafrecht: Prozessunfähigkeit aufgrund psychischer Leiden

In einem neueren Urteil hat das Bundesgericht in Erinnerung gerufen, von Prozessunfähigkeit aufgrund psychischer Leiden – und der Bestellung einer notwendigen Verteidigung – sei nur ausnahmsweise gestützt auf entsprechende Indizien auszugehen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlange dafür aber keine eindeutigen Beweise, sondern lasse ausreichende Anhaltspunkte genügen. Dies erscheine folgerichtig: Sonst wären regelmässig umfassende Abklärungen über den Geisteszustand erforderlich, welche im späteren Verfahren Bedeutung erlangen könnten. Weiter hat das Bundesgericht festgehalten, falls die beschuldigte Person über eine gesetzliche Vertretung verfüge, komme die notwendige Verteidigung nur in Frage, wenn die Vertretung nicht geeignet oder fähig ist, ihre Interessen im Strafprozess wahrzunehmen.

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Abhängigkeit als „ähnlicher in der Person liegender Schwächezustand“?

Bekanntlich ist der „ähnliche in der Person liegender Schwächezustand“ ein möglicher Schwächezustand bei einer Beistandschaft der Erwachsenenschutzes. In einem neueren Urteil hat das Appellationsgericht Basel-Stadt dargelegt, wie mit diesem doch konturlosem Schwächezustand umzugehen ist. Es hat zunächst geprüft, ob von einer Demenz – und folglich vom Schwächezustand der psychischen Störung – ausgegangen werden kann. Nachdem das Gericht diese Frage verneint hat, hat es festgehalten, die Abhängigkeit stelle grundsätzlich einen „ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustand“ dar. Wie das Gericht aber zu Recht hervorhebt, kann nicht jede Abhängigkeit erwachsenenschutzrechtlich relevant sein (wir sind ja alle im Alltag von anderen Personen abhängig). Gemäss dem Gericht muss die Abhängigkeit auf der Ebene des Schutzbedarfs zur Folge haben, dass eine Person in ihrer Urteilsfähigkeit „eingeschränkt“ ist. Das Gericht geht damit wohl davon aus, eine Person müsse sich „an der Grenze der Urteilsfähigkeit“ befinden (eine eigentliche eingeschränkte Urteilsfähigkeit kann es aus rechtlicher Sicht nicht geben).

P.S.: Die verfahrensrechtlichen Ausführungen des Gerichts zur Anhörung sind aufgrund Art. 6 der Covid 19-Verordnung-Justiz und Verfahrensrecht überholt.

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