Gutachten im FU-Beschwerdeverfahren

Art. 450e Abs. 3 ZGB verlangt, dass das Gericht in FU-Beschwerdeverfahren bei psychischen Störungen gestützt auf ein Gutachten entscheidet. Anlässlich eines neues Urteils hatte das Bundesgericht die Gelegenheit, sich näher zu dieser Vorschrift zu äussern. Es hat – in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR – festgehalten, dass Fachrichter nicht als Gutachter tätig sein können. Meiner Meinung nach gilt das grundsätzlich auch, wenn ein Fachrichter im konkreten Fall nicht Mitglied des Spruchkörpers ist. Je nach den konkreten Verhältnissen kann der Einsatz eines Fachrichters „bloss“ als Gutachter mit der richterlichen Unabhängigkeit konfligieren: Weil es sich beim Gutachter um ein Mitglied des Richterkollegiums handelt, können sich die Richter im Spruchkörper u.U. dem Vorwurf aussetzen, bei der Würdigung des Gutachtens nicht mehr über die erforderliche kritische Distanz zu verfügen. Zudem könnte je nach den konkreten Verhältnissen der objektive Anschein entstehen, dass die Unabhängigkeit des Sachverständigen nicht gewahrt bleibt.

Das Bundesgericht hat weiter festgehalten, dass die Beschwerdeinstanz nicht in jedem Fall ein Gutachten einholen muss. Sie kann vielmehr ein oder mehrere Gutachten aus einem anderen oder früheren Verfahren verwenden. Vorausgesetzt das Gutachten ist aktuell und sämtliche für die Begutachtung im Beschwerdeverfahren relevanten Fragen werden durch das Gutachten beantwortet.

Im konkreten Fall hat die Vorinstanz diese Vorgaben missachtet. Dies führte nicht zur Entlassung der betroffenen Person. Das Bundesgericht hat vielmehr betont, mit dem Rückweisungsentscheid befinde sich das Verfahren wieder im zweitinstanzlichen Instruktionsstadium. Nachdem die Beschwerde im Sinn von Art. 450e Abs. 2 ZGB keine aufschiebende Wirkung, die KESB nichts anderes angeordnet, das Verwaltungsgericht diese nicht wiederhergestellt und der Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren nicht um aufschiebende Wirkung ersucht hab, sei die von der KESB angeordnete fürsorgerische Unterbringung weiterhin vollstreckbar. Anwält*innen sind also gut beraten, im bundesgerichtlichen Verfahren die aufschiebende Wirkung zu beantragen.

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Strafandrohung bei Torpedierung des Besuchskontakts?

Eine Motion von Herrn Nationalrat Nantermod möchte, dass die Torpedierung des Besuchskontakts künftig strafbewehrt ist. Ein Artikel in der „Basellandschaftlichen Zeitung“ erklärt, warum diese in der Theorie gute Idee aus praktischer Sicht nicht unterstützt werden sollte. Zu den Artikeln beizufügen bleibt, dass in der Praxis kaum je nachgewiesen werden könnte, dass überhaupt eine Torpedierung vorliegt.

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Babyfenster

In der Schweiz bestehen acht „Babyfenster“. Ein Podcast des „Tagesanzeigers“ geht diversen Fragen nach, welche sich in diesem Zusammenhang stellen: Was passiert mit den Kindern, die dort abgegeben werden? Weshalb bewegen sich die Fenster in einer rechtlichen Grauzone? Und welche Alternativen gäbe es für Mütter, die rund um die Geburt in eine Notlage geraten?

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Internationaler Kindesschutz: Zuständigkeit der schweizerischen Behörden

Die internationale Zuständigkeit der schweizerischen Behörden im Kindesschutz knüpft nach dem  «Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenar­beit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kin­dern“ (HKsÜ) grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthaltsort eines Kindes (vgl. Art. 5 HKsÜ).

In einem neuen Urteil musste sich das Bundesgericht mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltsortes auseinandersetzen: Ein Vater hatte den Aufenthaltsort des Kindes vom Wadtland nach Frankreich verlegt, offenbar aufgrund von superprovisorische Kindesschutzmassnahmen der wadtländischen Behörden. Da keine perpetuatio fori besteht, wenn Eltern den gewöhnlichen Aufenthaltsort eines Kindes in einen anderen Mitgliedsstaat des HKsÜ (wie Frankreich) verlegen, war für die weitere Zuständigkeit der schweizerischen Kindesschutzbehörden entscheidend, ob der Vater mit der Verlegung des Aufenthaltsortes auch den „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ des Kindes i.S. des HKsÜ verändert hatte. Das Bundesgericht bejahte diese Frage, mit dem Hinweis, das Kind lebe seit sechs Monaten mit der Halbschwester und dem Vater in Frankreich und werde dort beschult. Zudem werde es dort medizinisch behandelt. Dass der Wechsel des Aufenthaltsortes bewusst erfolgte, um die Zuständigkeit der schweizerischen Behörden zu umgehen, sei für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes per se unerheblich.

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Mahnmale für Opfer von Zwangsmassnahmen

Gemäss Art. 16 AFZFG setzt sich der Bund dafür ein, dass die Kantone «Zeichen der Erinnerung» für Opfer der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen (welche vor 1981 erfolgt sind) errichten. Ein solches Mahnmal hat nun der Kanton Basel-Landschaft errichtet, wie die „Basellandschaftliche Zeitung“ berichtet: An zwölf Standorten im Kanton sind «Gedenk-Bänke» aufgestellt worden. Ein wenig Schal mutet – wenn man bedenkt, dass die Opfer früher (auch) in Strafanstalten untergebracht waren – der Umstand an, dass die Bänke von jungen Erwachsenen der Strafvollzugsanstalt Arxhof hergestellt worden sind

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87 Tage…

zwischen einem Gesuch um Aufhebung der fürsorgerischen Unterbringung und dem diesbezüglichen Entscheid sind zu lange. Zu dieser wenig überraschenden Erkenntnis ist das Bundesgericht in einem neuen Urteil gelangt. Das Gericht hat darauf verzichtet, eine maximale Zeitspanne zwischen dem Gesuch und dem Vorliegen des Entscheiddispositivs festzuhalten. Es hat aber für den vorliegenden, komplexen Fall (Unterschiedliche Haltungen zwischen der Einrichtung und dem behandelnden Psychiater; unterschiedliche psychiatrische Diagnosen im Zeitpunkt der Einrichtung [paranoide Schizophrenie etc.] als im Zeitpunkt des Entlassungsgesuches [bipolare Störung] bestimmt, dass der Zeitrahmen maximal fünf Tage dauern darf.

Als Folge der exzessiven Überschreitung dieses Zeitrahmens hat das Bundesgericht das Urteil an die Vorinstanz zurückgewiesen, mit dem Auftrag, die Genugtuung der betroffenen Person zu bestimmen (vgl. Art. 454 ZGB). In diesem Zusammenhang hat das Bundesgericht festgehalten, dass die betroffene Person – entgegen den Vorbringen der Vorinstanz – für den Erhalt einer Genugtuung nicht im Detail darlegen müsse, inwiefern die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) verletzt worden sei.

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Begründungsdichte Entscheide KESB

In einem neueren Urteil musste sich das Appellationsgericht Basel-Stadt mit der Beschwerde einer Person befassen, die gerne als Beistand eingesetzt geworden wäre. Im Entscheid hielt die KESB, ohne nähere Angaben, fest, die betroffene Person sei nicht geeignet. Im Rahmen eines Telefonates (welches noch vor dem Entscheid erging) erklärte die Behörde dem Beschwerdeführer, eine andere Beistandsperson einzusetzen. Zum einen, weil sich der Beschwerdeführer aufgrund des Betreibungsregisterauszugs nicht für die Übernahme der Beistandschaft eigne. Zum anderen, weil sich die verbeiständete Person für eine Übernahme der Beistandschaft durch eine Drittperson ausgesprochen habe.

Der Beschwerdeführer machte daraufhin in der Beschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, weil im Entscheid seine fehlende Eignung nicht näher dargelegt sei. Die KESB hielt fest, praxisgemäss auf eine nähere Umschreibung der Hintergründe für das Fehlen der Eignung einer Person zur Einsetzung als Beistand zu verzichten, um – mit Blick auf den Adressatenkreis eines solchen Entscheids – eine Blossstellung der betroffenen Person möglichst zu verhindern. 

Das Appellationsgericht schützte das Vorgehen der Behörde: Eine minimale Begründung im Entscheid selbst genüge, wenn die Gründe für den Entscheid offensichtlich oder – wie hier – bekannt seien. Es sei daher vorliegend auch nicht zu beanstanden, dass die KESB zum Schutz des Betroffenen keine detaillierte Beschreibung der Hintergründe für das Fehlen der Eignung als Beistand im Entscheid vornehme. Zwar bilde die Begründung in der Regel einen integralen Teil des Entscheids. Zwingend sei dies aber nicht; die Begründung könne sich auch aus einer separaten Mitteilung ergeben.

Anmerkung: Das Urteil stellt keinen Freipass für die KESB dar, generell nur sehr kursorische Begründungen zu erstellen. Vielmehr lag hier ein besonderer Grund für die geringe Begründungsdichte vor (Schutz der Person, welche nicht geeignet ist, um als Beiständin zu fungieren).

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Der Kindesschutz als Propagandainstrument

Dass in das Kindeswohl unzählige persönliche Regelungsanliegen unabhängig von tatsächlichen psychosozialen Gegebenheiten hineininterpretiert werden können, ist nicht neu. Ein Familienrichter am (deutschen) Amtsgericht Weimer hat dies kürzlich wieder eindrucksvoll demonstriert: In einem 178-seitigen Beschluss (!) untersagt er zwei Schulen in Weimar, die Maskenpflicht anzuordnen, weil damit das Kindeswohl von zwei Schülern gefährdet sei. 

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Sorgerechtsregister

Bis anhin besteht in der Schweiz kein Register über die elterliche Sorge. Für das Wohl des Kindes ist es aber wichtig, dass die Behörden zuverlässig feststellen können, wer Inhaber der elterlichen Sorge ist. Zu diesem Schluss kommt nun auch der Bundesrat in einem Postulatsbericht. In einem nächsten Schritt soll geprüft werden, wie eine Einbindung dieser Information bei den kantonalen Einwohnerregistern umgesetzt werden könnte. Es bleibt zu hoffen, dass das Sorgerechtsregister nicht an bürokratischen Hürden scheitert!

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Parteistellung und Kinderrechtskonvention

In einem neu publizierten Urteil (Nachgang des bereits präsentierten BGer vom 26.11.2020, 6B_1350/2020) haben die Kinder einer zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Mutter ein Rechtsmittel gegen den Vollzugsbefehl erhoben (d.h. der Verfügung, mit welcher die Behörden die Mutter zum Strafantritt aufgehoben haben). Problematisch war dabei, dass die Kinder nicht Adressaten des Vollzugsbefehls sind. Die Kinder verwiesen für ihre Parteistellung aber auf die UN-Kinderrechtskonvention (KRK).

Hierzu hielt das Bundesgericht fest, die KRK gewährleiste Rechte der Kinder im Freiheitsentzug. Die Kinder seien aber nicht inhaftiert. Sie seien vielmehr als Drittpersonen betroffen. Im Ergebnis folgerte das Bundesgericht, dass die Vollzugsverfügung den Kindern mangels Parteistellung nicht zuzustellen war. Auch waren sie nicht zur Beschwerde befugt.

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