Ausflug ins Unterhaltsrecht: Entfallen Schlichtungsverfahren/Pflichten der KESB

Gemäss Art. 198 lit. bbis ZPO entfällt das Schlichtungsverfahren bei Klagen über den Unterhalt des Kindes und weitere Kinderbelange, wenn vor der Klage ein Elternteil die Kindesschutzbehörde angerufen hat (Art. 298b und 298d ZGB; de lege ferenda ist zu beachten, dass mit der Revision der ZPO das Schlichtungsverfahren bei Klagen betreffend den Kindesunterhalt ganz entfallen wird). Dabei muss vor der KESB ein „minimal vermittelndes Element“ bestanden haben, damit das Schlichtungsverfahren entfällt. In einem neueren Urteil hat das Bundesgericht entschieden, dieses sei gegeben, wenn die KESB einen (neuen) Unterhaltsvertrag entworfen und den Eltern die Gelegenheit gegeben hat, diesen Vertrag zu unterzeichnen. Bestreitet eine Partei dann die Berechnungsgrundlage oder die Höhe des Unterhaltes, muss die KESB gemäss dem Bundesgericht keine Einigungsverhandlung durchführen, sondern darf auf Scheitern des Einigungsversuchs schliessen und die Parteien auf die Einleitung eines Gerichtsverfahrens verweisen.

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Vertretungskompetenzen der Beistandsperson im Beschwerdeverfahren

Inwiefern dürfte Beistandspersonen ihre Klientschaft im Beschwerdeverfahren vertreten? Dieser Frage musste das Bundesgericht in einem Einzelurteil nachgehen. Hintergrund der Beschwerde war der Entscheid der KESB über eine Umwandlung einer umfassenden Beistandschaft in eine Vertretungsbeistandschaft (ohne Entzug der Handlungsfähigkeit). Gegen diesen Entscheid hat die Beistandsperson als Vertreterin der betroffenen Person (also nicht als nahestehende Person) eine Beschwerde an die obere kantonale Instanz geführt. Diese ist nicht auf die Beschwerde eingetreten. Wie das Bundesgericht nun im Einzelentscheid meint, zu Recht.

Das Gericht hielt, soweit vorliegend interessierend, obiter dictum zu Recht fest, die Vertretung durch den Beistand im kantonalen Verfahren dürfe aufgrund eines Interessenkonfliktes ausscheiden: Es sei «schwerlich zu sehen», inwiefern die im Rahmen des Entscheides als Beistandsperson eingesetzte Person die betroffene Person in einer gegen die Beistandschaft gerichteten Beschwerde soll vertreten können.

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Fürsorgerische Unterbringung: Geeignete Einrichtung

Die Behörden dürfen eine fürsorgerische Unterbringung nur anordnen, wenn die dafür vorgesehene Einrichtung geeignet ist (vgl. Art. 426 Abs. 1 ZGB). Das Bundesgericht hat in einem neueren Urteil obiter dictum klargestellt, dass für die Eignung der Einrichtung nicht nur Aspekte der Betreuung oder Behandlung massgebend sind. Vielmehr zum Beispiel auch „begründete Anliegen religiöser Art“.

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Teilrevision Erwachsenenschutz: Vernehmlassung

Am 31. Mai 2023 ist das Vernehmlassungsverfahren für die Teilrevision des Erwachsenenschutzes abgelaufen. Zusammen mit meinem Kollegen Daniel Rosch habe ich eine Stellungnahme verfasst, in welcher wir eine eine Rückstellung des Revisionsvorhabens zugunsten einer grundlegenden systematischen Auseinandersetzung mit zentralen Problemen des Erwachsenenschutzes empfehlen. Die gesamte Vernehmlassung findet sich hier.

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Anerkennung ausländischer „Beistandschaften“

In einem neueren Urteil musste sich das Bundesgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob eine in Zypern errichtete „Beistandschaft“ in der Schweiz anerkannt wird (= „in der Schweiz gilt“). Die Voraussetzungen der Anerkennung regelt für Vertragsstaaten wie Zypern das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (vgl. im Übrigen Art. 85 Abs. 4 IPRG). Das Übereinkommen hält fest, dass die Behörden vorfrageweise (z.B. im Rahmen eines Verfahrens gegen eine Bank) entscheiden dürfen, ob die ausländischen „Beistandschaft“ überhaupt anerkannt werden kann (und die „Beistandsperson“ z.B. zur Vertretung des „verbeiständeten“ Kontoinhabers berechtigt ist). Art. 23 Abs. 1 HEsÜ sieht aber vor, dass jede betroffene Person beantragen kann, dass die Behörden über die Anerkennung der Beistandschaft in einem separaten Entscheid (mithin nicht im Rahmen eines anderen, z.B. bankrechtlichen Verfahrens) befinden.

Dieses Verfahren der selbständigen Anerkennung bestimmt sich gemäss Art. 23 Abs. 1 2. Satz HEsÜ nach dem Recht des ersuchten Staates, vorliegend der Schweiz. Anwendbar sind damit Art. 25-29 IPRG sinngemäss. Nach Art. 29 Abs. 2 IPRG gilt der Grundsatz, dass in Anerkennungsverfahren der sogenannten „freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (worunter Erwachsenenschutzverfahren gehören) die Partei, die sich der Anhörung widersetzt, anzuhören ist.

Diese Bestimmung war vorliegend relevant, weil die Vorinstanzen die Haltung vertraten, die „Beistandschaft“ könne nicht anerkannt werden, weil die betroffene Person nicht durch den „Beistand“ (welcher um Anerkennung des zypriotischen Urteils ersuchte) in das Verfahren einbezogen worden war. Das Bundesgericht hielt demgegenüber fest, es erscheine nicht als sachgerecht, die betroffene Person zwingend in das Verfahren einzubeziehen: „Verbeiständete“ Person und „Beistandsperson“ hätten nämlich keine gegenläufige Interessen.

Das Bundesgericht wies bei der Begründung auch darauf hin, dass das zypriotische Gericht der betroffenen Person die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Vermögenssorge abgesprochen habe. Damit bleibt meines Erachtens offen, ob die betroffene Person auch dann nicht zwingend im Anerkennungsverfahren anzuhören ist, wenn sie in Bezug auf den Gegenstand der Beistandschaft urteilsfähig erscheint.

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Zusammensetzung Bundesgericht

Das Bundesgericht hat mitgeteilt, dass per 1. Juli 2023 eine zweite strafrechtliche Abteilung errichtet wird. Für den Kindes- und Erwachsenenschutz bleibt weiterhin die zweite zivilrechtliche Abteilung zuständig, bestehend aus Herrn Bundesrichter Herrmann (Abteilungspräsident), Frau Bundesrichterin Escher, Frau Bundesrichterin de Rossa, Herrn Bundesrichter von Werdt, Herrn Budesrichter Schöbi sowie Herrn Bundesrichter Bovey. Zu bedauern ist, dass nur zwei Frauen (gegenüber vier Männern) in der Abteilung Einsitz nehmen. Immerhin handelt es sich bei den nebenamtlichen Bundesrichterinnen, welche der zweiten zivilrechtlichen Abteilung zugewiesen sind, um drei Frauen.

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Sachliche Zuständigkeit

Ein neueres Urteil des Bundesgerichts beschäftigte sich mit der Verteilung der sachlichen Zuständigkeit zwischen KESB und Gericht. Dem Urteil lagt der folgende Sachverhalt zu Grunde:

Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens wurde der Mutter die alleinige elterliche Sorge eines Kindes.  Am 29. Juni 2021 ging bei der KESB eine Gefährdungsmeldung der Primarschule ein. Nach ersten Abklärungen entzog die KESB der Mutter mit Entscheid vom 19. Januar 2022 superprovisorisch das Aufenthaltsbestimmungsrecht und platzierte das Kind beim Vater. Mit Entscheid vom 8. März 2022 bestätigte die KESB diesen Entscheid im Sinne einer vorsorglichen Massnahme, erklärte diese Massnahme für vollstreckbar und entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung.  Dagegen erhob die Mutter am 28. März 2022 Beschwerde.

Bereits einen Tag vor der Anordnung der vorsorglichen Massnahme durch die KESB (7. März 2022) hatte der Vater beim Bezirksgericht eine Klage auf Abänderung des Ehescheidungsurteils anhängig gemacht, wovon er die KESB am 31. März 2022 in Kenntnis setzte. Am 5. April 2022 teilte das Bezirksgericht der KESB auf telefonischem Weg mit, es nehme sämtliche Kinderbelange im Zuge des Abänderungsverfahrens an die Hand. Daraufhin schloss die KESB mit Entscheid vom 27. April 2022 das Verfahren betreffend die Prüfung von Kindesschutzmassnahmen.

Mit Entscheid vom 27. Mai 2022 wies der Bezirksrat die gegen den vorsorglichen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Platzierung des Kindes beim Vater gerichtete Beschwerde der Mutter (vorne Bst. B.a) ab und bestätigte die Anordnung der KESB vom 8. März 2022. Gegen diesen Entscheid erhob die Mutter Beschwerde beim Obergericht, welches sich zufolge Kompetenzattraktion durch das Bezirksgericht (vgl. Telefonat vom 5. April 2022) auf die Beschwerde nicht eintrat.

Das Bundesgericht stellte zunächst fest, die Kindesschutzbehörde bleibe befugt, ein vor einem gerichtlichen Abänderungsverfahren eingeleitetes Kindesschutzverfahren weiterzuführen. Dieser Grundsatz gelte, obwohl das Gesetz (vgl. Art. 315a f. ZGB) dies im Kontext der Abänderungsverfahren nicht festhalte. Damit war die KESB für die vorsorgliche Massnahme vom 8. März 2022 sachlich zuständig.

Weiter führte das Gericht aus, selbst wenn das Obergericht zu Recht eine Kompetenzattraktion durch das Bezirksgericht angenommen haben sollte (was das Bundesgericht offen liess), wäre es für die Beurteilung der Beschwerde sachlich zuständig gewesen: Denn der etwaige Wegfall der sachlichen Entscheidzuständigkeit in der Hauptsache habe für die Entscheidzuständigkeit der Beschwerdeinstanz in Bezug auf die vorsorgliche Massnahme keinen Einfluss.  

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BRK

Gemäss Art. 19 lit. a) BRK haben Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und sie sind nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben. Gestützt auf diese Bestimmung hat der Ausschuss zur BRK – das Gremium der UN, welches überwacht, ob die Vertragsstaaten die Vorgaben der BRK erfüllen – am 9. September 2022 Leitlinien zur Deinstitutionalisierung veröffentlicht. Leider hat der Ausschuss (erneut) verpasst, durch eine differenzierte Stellungnahme anzuerkennen, dass Institutionen nicht per se die Teilhabe behinderter Personen verunmöglichen, sondern diese ggf. sogar fördern können. Die Leitlinien finden sich hier.

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AFZFG: Opfereigenschaft

Das Bundesgesetz vom 30. September 2016 über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) sieht für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz vor 1981 einen Solidaritätsbeitrag vor. In einem neueren Urteil musste sich das Bundesgericht mit der Frage auseinandersetzen, wer Opfer im Sinne des Gesetzes ist. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Knabe wurde nach der Geburt im Februar 1967 seiner Mutter weggenommen und zunächst in einem Diakoniewerk sowie alsdann im Dezember 1967 bei einer Pflegefamilie behördlich fremdplatziert. Die Pflegeeltern dieser Familie adoptierten den Knaben am 19. Juli 1969 im Alter von knapp zweieinhalb Jahren. In der Folge musste er im Vorschulalter und im schulpflichtigen Alter bei seinen Adoptiveltern körperliche Gewalt durch schwere Schläge sowie wirtschaftliche Ausbeutung durch übermässige Beanspruchung seiner Arbeitskraft in der schulfreien Zeit erleiden. 

Die Behörden machten geltend, ab dem Zeitpunkt der Adoption habe keine Fremdplatzierung im Sinne von Art. 2 lit. b AFZFG vorgelegen, weshalb die betroffene Person nicht Opfer i.S. des OHG ist. Dies, weil aus familienrechtlicher Optik ein Kind mit der Adoption ein „eigenes“ Kind wird und damit keine „Fremd“platzierung mehr vorliegt. Das Bundesgericht kommt im Urteil zum Schluss, die massgebende Begriffsdefinition spreche bei Kindern, die zuerst bei einer Familie behördlich fremdplatziert und später durch die Eltern derselben Familie adoptiert worden sind, dafür, die Adoptivfamilie aus Sicht des Kindes auch nach der Adoption weiterhin als fremd zu betrachten. Deshalb habe der Beschwerdegegner vorliegend auch nach seiner Adoption weiterhin als fremdplatziert im Sinne von Art. 2 lit. b AFZFG zu gelten, womit er auch nach der Adoption von einer Fremdplatzierung betroffen sei und die Opfereigenschaft nach Art. 2 lit. d AFZFG nach wie vor erfüllen könne. 

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