Das Bundesgericht musste sich in einem neueren Urteil mit der Frage beschäftigen, ob die Beteiligung an einem Kindesschutzverfahren zu einem Ausstand an einem Strafverfahren führt, wenn die gleichen Personen an den Verfahren beteiligt sind. Diese Frage kann dort relevant sein, wo die KESB in einem Gerichtsmodell organisiert sind. So im Kanton Aargau.
Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau erhob Anklage gegen einen Mann, unter anderem wegen mehrfacher Tätlichkeit zum Nachteil des Sohnes seiner Ex-Partnerin. In der Folge beantragte der Mann den Ausstand des Gerichtspräsidenten. Er machte hierfür unter anderem geltend, der Präsident habe bereits als Mitglied des Familiengerichts mit den gleichen Parteien im Zusammenhang mit dem Besuchskontakt mitgewirkt und als Familienrichter eine Gefährdung des Sohnes seiner Ex-Partnerin bejaht, aufgrund der zu behandelnden Anzeige. Zudem habe der Gerichtspräsident den Prozessbeistand des Sohnes im Strafverfahren eingesetzt. Deshalb liege eine Vorbefassung im Strafverfahren gemäss Art. 56 lit. b StPO vor (Tätigwerden als Mitglied einer Behörde in der gleichen Sache).
Das Bundesgericht hat das Ausstandsgesuch abgewiesen. Aus materieller Sicht hat es – soweit interessierend – festgehalten, eine «gleiche Sache» im Sinne von Art. 56 lit. b StPO liege nicht vor, wenn ein Gerichtsmitglied neben dem Strafverfahren an einem Kindesschutzverfahren zwischen den gleichen Parteien beteiligt ist: Die Ursachen der Gefährdung – und damit ein allfällig strafrechtlich relevantes Verhalten – seien im Kindesschutzverfahren nämlich unerheblich. Im Straf- und im Kindesschutzverfahren waren damit nicht identische Fragestellungen zu beurteilen. Dies gelte auch für den Entscheid über die Einsetzung des Prozessbeistandes. Dort sei nämlich einzig massgebend gewesen, ob eine Interessenkollision vorläge.